St. Auban - Guillaumes, 84 km, 1660 Hm
Die Tour durch das Tal der Gironde, die Gorges de la Roudoule und Gorges de Daluis ist gespickt mit landschaftlichen Leckerbissen.
Als wir des Morgens aufstehen ist es sehr neblig. Entsprechend nass ist das Zelt. Schon während des Frühstücks steigt die Sonne über die Berge und beginnt damit den Nebel aufzulösen und das Zelt zu trocknen. Als wir aufbrechen, haben wir ein fast trockenes Zelt dabei.
Auf der D5, D10 und D110 geht es durch das Tal der Gironde. Die Strecke ist ausgesprochen ruhig, fast schon einsam. Auf den ersten Kilometern kommen uns mehrere Gruppen Rennradfahrer entgegen. Die Autos und Motorradfahrer können wir an zwei Händen abzählen. Die Gegend wird bestimmt vom Wald des Foret Domaniale de la Gironde (Foret Domaniale = Staatsforst). Es herrschen Kiefern vor, dazwischen Ginster und selten mal ein Getreidefeld. Im Norden ragen die Montagne de Charamel (1257m - 1686m) auf, im Süden die Montagne de Bleine (bis 1657m) und Montagne de Thorene (ca. 1600m). Sie bilden ein weites Tal mit sanft ansteigenden grünen Bergen. Kaum zu glauben, das der Höhenunterschied zwischen Fluss und Gipfeln bis zu 800m beträgt.
Nach einem langgezogenen Anstieg, der uns von 1050m auf 1130m bringt, geht es steil und kurvig bergab. Die Straße ist frisch mit Bitumen und Schotter gemacht, was viel Gefühl beim fahren erfordert. Nahe Aiglun durchbricht der Esteron von Norden her die Montage Charamel und hat dabei eine spektakuläre, schmale Schlucht geschaffen, die Clue d'Aiglun. Mittlerweile ist es sehr heiß geworden. In Aiglun gibt es einen Brunnen, an dem wir unsere Flaschen nachfüllen. Nahe Le Colombier bahnt sich der Bach Vallon de St-Joseph seinen Weg durch das Kalkgestein Richtung Esteron. Dabei hat er wunderschöne Becken geschaffen, in denen man baden kann.
Der Ort Sigale thront wie ein Adlerhorst auf einem Felsen über dem Tal des Esteron. Als wir kurz vor 12 Uhr dort ankommen, sitzen auffällig viele Menschen im Café und auf dem kleinen Platz vor dem Rathaus. Wir erkundigen uns nach einem Bäcker und erfahren, dass gegen 12 Uhr ein Bäckerwagen kommt. Perfekt! Auf dem Platz vor dem Rathaus finden wir ein schattiges Plätzchen für unsere Mittagspause. Als ein weißer Kombi vorfährt bildet sich schnell eine lange Schlange. Wir reihen uns ein und erfahren, dass der Bäcker schon seit 45 Jahren Brot backt. Eine besondere Spezialität wäre der Spinatkuchen. Der schmeckt tatsächlich sehr gut - die Hauptbestandteile sind Blätterteig, Spinat, Rosinen und Zucker. Am Brunnen füllen einigen Rennradfahrer ihre Flaschen auf, wir tun es ihnen gleich.
Nun geht es den 875m hohen Col de Saint Raphael rauf. Besonders schön ist der Abschnitt rund um den Tunnel am Clue du Riolan. Wir schwitzen kräftig in der großen Hitze. Auf der Abfahrt nach Puget-Théniers haben wir schöne Ausblicke ins Var-Tal und die dahinter liegenden Berge. Puget-Théniers gefällt uns nicht besonders.
Auf der kleinen und ruhigen D16 geht es die Gorges de la Roudoule hoch. Anfangs ist die Steigung moderat. Besonders faszinieren uns die Gesteinsformationen. An mehreren Stellen ist sehr schön die Schichtung des Gesteins und dessen Faltung zu sehen. Auf einer Stahlbrücke überqueren wir die tiefe Gorges de la Roudoule. Weiter unten liegt die alte steinerne Pont de St. Léger. Nun wird es deutlich steiler. Ein Abschnitt mit sehr klein zerbrochenem Schiefer erinnert an eine Kohlehalde. St-Léger ist ein kleines Bergnest. Am Brunnen füllt gerade ein Gruppe Radlerinnen ihre Flaschen auf. Die Abfahrt nach Dalius führt über einen Feldweg, der im oberen Teil - mehr schlecht als recht - asphaltiert ist. Unten ist er ganz geschottert.
Von Dalius aus geht es das Var-Tal hoch. Es ist recht wenig Verkehr. Die Gorges de Daluis bestehen aus rotem Tongestein. Auf den steil abfallenden, schroffen Felsen wachsen vielerorts Pflanzen. Die Straße verläuft im oberen Drittel der tiefen und schmalen Schlucht. Die Tunneldichte ist sehr hoch. Leider sind dunkle Wolken aufgezogen. Auf halber Strecke durch die Schlucht beginnt es zu regnen. Wir packen die Kameras ein und treten ein wenig fester in die Pedale. Über die Pont de la Mariée gelangen wir auf eine kleine, schlecht asphaltierte Nebenstraße. Der Campingplatz ist klein, sauber und mit einem kleinen Restaurant ausgestattet. Das Gewitter spielt sich vorwiegend im östlichen Nachbartal ab, ein wenig Regen schwappt aber immer wieder auch zu uns rüber.
Guillaumes - Saint-Etienne-de-Tinée, 91 km, 2280 Hm
Unsere erste Alpen-Etappe.
Mit dem Anstieg zum 1673m hohen Col de Valberg beginnt das Abenteuer Alpen. Die Ausblicke auf die 2500m hohen Berge ringsum werden mit jeder Kurve besser. Valberg zählt zu den beliebtesten Wintersportorten in den französischen Seealpen. Im Sommer locken Wanderungen, ein Schwimmbad sowie eine Sommerrodelbahn. Es geht hinunter nach Beuil (ca. 1400m) und gleich wieder hoch zum Col de la Couillole (1678m). Die Gegend ist geprägt von Wald, der hin und wieder durch Viehwiesen unterbrochen wird. Auf der Abfahrt passieren wir den kleinen Ort Ruboin, der fotogen an einer Felskante über dem Tal thront. Durch das Tal der Vionene geht es nach Saint-Etienne-de-Tinée. Die Straße verläuft kurven- und verkehrsarm durch die tolle Schlucht. Einige frisch geschotterte Abschnitte erfordern eine sehr vorsichtige Fahrweise.
In Saint-Sauveur-sur-Tinée (ca. 500m) machen wir Mittag an einem Brunnen. Auch ein Rennradfahrer aus Auron ruht sich hier aus. Oben in den Bergen waren die Temperaturen angenehm, hier unten fühlt es sich an wie in einem Toaster. Beim Bäcker lachen uns Apfel- und Aprikosenkuchen an. Von hier sind es nur noch 60 Kilometer nach Nizza. Eine durchaus verlockende Option. Uns zieht es aber in die Berge.
Die D2205 über Isola nach Saint-Etienne-de-Tinée gefällt uns nicht so sehr. Die recht gut ausgebaute Strecke verläuft entlang des Flusses Tinée flach das Tal hinauf. Die Berge zu beiden Seiten ragen bis zu 2800m hoch auf. Einige gehören zum Parc National du Mercantour. Der Verkehr hält sich im Rahmen, es gibt allerdings ein deutlich wahrnehmbares LKW-Aufkommen. Links und rechts der Straße stört immer wieder ein Wasserkraftwerk oder ein kleiner Industriebetrieb das Bild. Da sind wir von den kleinen verkehrsarmen Straßen so verwöhnt, dass uns das nicht gefällt :-)
Zwischen Isola und Saint-Etienne-de-Tinée verläuft über weite Strecken ein gut ausgebauter Radweg entlang der Straße. Bei unseren Vorbereitungen konnten wir weder in unseren Reiseführern und noch im Internet einen Campingplatz in Saint-Etienne-de-Tinée finden. Also ackern wir uns die knackigen 500 Höhenmeter nach Auron hoch. Schock, schwere Not! Auron ist ein Ansammlung von Bettenburgen und abgesehen von einigen Handwerkern völlig ausgestorben. Auch der Campingplatz erweist sich als Katastrophe.
Schon etwas müde und hungrig sausen wir runter nach Saint-Etienne-de-Tinée. Dort "überfallen" wir erstmal Supermarkt und Bäcker. Auf der Suche nach einer Bleibe erblicken wir völlig überrascht ein Schild zum Campingplatz. Es ist der bisher beste Campingplatz auf unserer Tour. Der Beste, da am Besten auf unsere Bedürfnisse abgestimmt, mit Sitzgelegenheiten - auch überdachten - und schönen kleinen Plätzen. Wir sind begeistert und können schon jetzt über das "extra Bergtraining" Auron lachen.
Saint-Etienne-de-Tinée - Saint-Paul-sur-Ubaye, 70 km, 1820 Hm
Ab aufs Dach der Tour.

Morgens ist es trocken und der Himmel blau. Aufgrund der Höhe und da die Sonne lange braucht um über die hohen Berge zu kommen, aber noch recht frisch. Saint-Etienne-de-Tinée liegt auf 1140m. Der Col de la Bonette ist 2802m hoch. Es sind 25 Kilometer bis zum Pass, wir haben genug Wasser in der Flaschen, ein Packung Kuchen, die Sonne scheint, wir tragen Sonnenbrillen. Tritt rein! Die Straße ist wieder klein und ruhig. Im unteren Teil gibt es eine ganze Reihe kleiner Wasserfälle. Mit zunehmender Höhe wird das Bergpanorama immer spektakulärer. Wir überholen mehrfach einen älteren französischen Radfahrer, der bei unseren Fotostopps wiederum an uns vorbeizieht. Aufgrund der Schönheit der Strecke machen wir viele Fotostopps. Obwohl mit zunehmender Höhe die Vegetation immer spärlicher wird, gedeihen bis wenige hundert Meter unterhalb des Passes noch Pflanzen. Selbst in 2000m Höhe grasen noch Schafe. In geschützten Lagen oberhalb von etwa 2300m haben sich noch Schneefelder gehalten. Auf 2271m liegt das 1890 erbaute Camp des Fourches, ein ehemaliges Militärcamp dessen Häuser heute nur noch aus Ruinen bestehen. Die Steigung ist lang, bis auf die letzten Kilometer allerdings nicht besonders steil. Als wir nach dreieinhalb Stunden oben ankommen, sind wir hungrig und erschöpft. Dafür stehen wir an einem der höchsten Punkte, die man in den Alpen auf einer asphaltierten Straße erreichen kann (Bild). Nur die Ötztaler Gletscherstraße ist noch 27m höher (die ist allerdings eine Sackgasse). Der Col de la Bonette hat verkehrstechnisch nur geringe Bedeutung, da er hauptsächlich aus touristischen Gründen erbaut wurde.
Wir stärken uns und erklimmen über einen schmalen Fußpfad den 2862m hohen Cime de la Bonette. Von dort haben wir eine sensationelle Rundumsicht. Kaum zu glauben, das die Zugspitze nur 100m höher ist.
Die Abfahrt ist schön zu fahren. Ein Murmeltier huscht vor uns über die Straße. Jörg kann ein Bild von ihm erhaschen. Wenig später rumpelt er durch ein Schlagloch, was zum Glück ohne Folgen bleibt. Ein schöner Stopp ergibt sich an einem kleinen See rund 6,5 Kilometer unterhalb des Passes. Im Großen und Ganzen lassen wir es aber laufen, genießen die Abfahrt. Gegen drei Uhr erreichen wir Jausiers. Der kleine Laden hat von 12 Uhr bis 16 Uhr geschlossen. Einen Rest Baguette und Käse haben wir noch. Nachdem die vertilgt sind, setzten wir uns in ein Café, trinken Kaffee und essen ein Eis. Es geht ein kräftiger Gewitterschauer nieder. Der ist aber kurz vor vier Uhr vorbei.
Mit frischem Proviant geht es durch das Tal des Ubaye leicht ansteigend nordwärts. Der Verkehr ist moderat. Das Tal ist schmal und recht felsig. Hier und da kann man wieder die Schichtung des Gesteins sehen. Wir folgen dem Ubaye durch die Pas de la Reyssole (Pas = Passage) nach Saint-Paul-sur-Ubaye. Es gibt noch mal einen lauten Donner, bleibt aber erstmal trocken.
Auch der Campingplatz in Saint-Paul-sur-Ubaye bekommt von uns sehr gute Noten. Im Tal des Ubaye gelegen, bieten sich tolle Ausblicke auf die umliegenden Berge, die Höhen von bis zu 3015m erreichen. Kochen und essen können wir in einem Gemeinschaftsraum mit Tischen und Bänken. Da es ein Abendgewitter gibt, nutzen wir diese Möglichkeit gerne.
Saint-Paul-sur-Ubaye - Col d'Izoard, 64 km, 2070 Hm
Zwei Alpenpässe an einem Tag!
Heute Morgen steht mit dem 2109m hohen Col de Vars gleich der nächste Alpenpass auf dem Programm. Vom 1400m hoch gelegenen Saint-Paul-sur-Ubaye sind es gute 9 Kilometer bis zum Pass.

Eine Besonderheit der Region sind Blechdächer. Auffällig viele Häuser - Alte wie Neue - sind nicht mit Ziegeln sondern mit Stahlblechen gedeckt. Den genauen Grund dafür haben wir bisher nicht ausfindig machen können. Fest steht, dass in dieser hochalpinen Region Ackerbau nur sehr begrenzt möglich ist. Lange Zeit waren wohl Viehzucht und Seidenweberei die Haupteinnahmequellen. Allerdings gibt es auch reiche Erzvorkommen, unter anderem Eisenerz. So ist es wahrscheinlich, dass Stahlblech schlicht ein günstiger und reichlich verfügbarer Baustoff war und daher zum Decken der Dächer benutzt wurde.
Der Col de Vars ist ein erstaunlich grüner Pass, der auf den letzten Kilometern durchaus Einsatz erfordert. Zwei Rennradfahrer aus der Schweiz überholen uns und zollen uns Respekt, dass wir den Pass mit Gepäck hochfahren. Wie schon gestern sind wir gefesselt vom Bergpanorama und legen etliche Fotostopps ein. Am 2109m hohen Col de Vars stehen mehrere Reisebusse, die alle auf Rennradfahrer zu warten scheinen. Diese kommen uns auf der schönen Abfahrt entgegen.
Die Abfahrt endet in Guillestre. Der zweitausend-Seelenort wurde im 12. Jahrhundert erstmalig urkundlich erwähnt. Nachdem der Proviant aufgefüllt und der Hunger gestillt ist, gönnen wir uns eine Kaffee-Pause im Café.
Entlang des Wildwasserflusses Guil geht es durch die Combe du Queyras nordwärts. Die Schlucht ist auf den ersten Kilometern sehr schön, nördlich des Stausees aber nicht mehr sonderlich aufregend. Dafür ist der Wildwasserfluss Guil recht laut. Wo wir nur weiß schäumendes Wasser sehen, erkennen Kajakfahrer "Schwierigkeiten im überwiegend oberen Bereich der Schwierigkeitsskala". Das Tal steigt nur flach an. So kommen wir zügig voran. Nach dem Abzweig zum Col d'Izoard wird es steiler und wir kommen gehörig ins schwitzen. Um halb drei erreichen wir der Ort la Chalp. Es nieselt für ein paar Minuten, der Himmel sieht aber freundlich aus. In der Nähe gibt es einen Campingplatz. Am Col d'Izoard besteht die Möglichkeit im Refugé Napoleon zu übernachten. Wir essen ein Eis und beschließen heute auch noch den Col d'Izoard zu bezwingen.
Die Steigung hat es über weite Strecken in sich. Schon nach kurzer Zeit legen wir eine Pause ein, um uns mit Keksen und Bananen zu stärken. Die Straße führt in vielen Haarnadelkurven durch einen Kiefernwald. Es sind mal wieder viele Rennradfahrer unterwegs. Als wir die Casse Déserte, rund 2,5 Kilometer unterhalb des Passes, erreichen, beginnt es abermals zu regnen. Diesmal ist es leider nicht nur ein kurzer Schauer, sondern ein recht heftiges Gewitter. Wir stellen uns im Wald unter. Die Nadelbäume bieten zumindest ein wenig Schutz, zumal es zwischenzeitlich auch hagelt. Die spektakuläre Casse Déserte, "zerhackte Wüste", ist eine trockene Verwitterungslandschaft mit Schutthalden und Felsnadeln. Nachdem das Gewitter weitgehend durchgezogen ist, setzen wir unsere Fahrt fort. Die Beine sind kalt und nehmen nur widerwillig die Arbeit wieder auf.
Der Col d'Izoard ist 2360m hoch und geprägt von Schutthalden und Felsnadeln. Es zeichnet sich ab, dass es bald wieder regnen wird. Zum Glück sind es nur noch ein paar hundert Meter zum 2303m hoch gelegenen Refugé Napoleon. Das Refugé hat Mehrbettzimmer mit insgesamt 20 Betten. Duschen und WC sind auf dem Flur. Für 60? bekommen wir ein Zimmer für uns. Wir strecken die müden Glieder aus und kochen ein reichhaltiges Abendbrot. Aus dem Fenster können wir den Col d'Izoard sehen - das hat man auch nicht alle Tage. Wie erwartet zieht bald ein ausgiebiges Gewitter über uns weg. Der Regen prasselt laut auf das Blechdach.
Col d'Izoard - Valloire , 76 km, 1550 Hm
Der Col du Galibier.
Die Abfahrt vom Col d'Izoard macht Laune. Obwohl es noch früh am Tag ist, kommen uns schon viele Rennradfahrer entgegen.

Briançon ist ein Verkehrsknoten und entsprechend belebt. Wir rauschen ohne große Umschweife durch bis zum großen Supermarkt am Nordende der Kleinstadt. Deren geschichtsträchtige Oberstadt beherbergt Teile des UNESCO-Weltkulturerbes Festungsanlagen von Vauban. Über Pramorel schleichen wir uns aus Briançon heraus. Die Strecke führt sehr ruhig durch die bewaldeten Ausläufer der Serre Chevalier. Die Sache hat aber einen Haken. Kurz nachdem wir den Campingplatz Camping Camp de Blanc passiert haben, geht es mörderisch steil bergauf und anschließend genauso steil auf Schotter bergab.
In Saint-Chaffrey biegen wir auf die D1091 Richtung Col du Lautaret ein. Diese Straße durch das Guisane-Tal ist eine Hauptverbindungsstrecke zwischen Frankreich und Italien. Mehrere zuverlässige Quellen haben auf das hohe Verkehrsaufkommen hingewiesen. Heute ist ein Donnerstag in der Vorsaison. Es ist schon einiges los, wir empfinden den Verkehr aber nicht als unangenehm. Im unteren Abschnitt steigt die Straße flach an. In kurzem Abstand passieren wir Ortschaften. Im Südwesten liegen die Station de Serre Chevalier, ein beliebtes Skigebiet mit bis zu 2800m hohen Gipfeln. Im Nordosten ragen ähnlich hohe Berge in den Himmel. Es ist also für ausreichend Ablenkung vom Verkehr gesorgt. Es ist warm und wir kommen gut voran. Hinter Le Monetier-les-Bains lässt der Verkehr nach und die Landschaft wird noch schöner. Dann nimmt auch die Steigung zu. Das Tal ist recht geradlinig, so sehen wir den Tunnel vor dem Col du Lautaret aus vielen Kilometern Entfernung. Was durchaus ein wenig gemein ist, da es bergauf eine gefühlte Ewigkeit dauert, bis wir den Tunnel erreichen.
Am 2060m hohen Col du Lautaret gibt es allerlei Services für hungrige Radfahrer, die sich hier in reicher Zahl versammelt haben. Der Pass ist der höchste Punkt der D1091. Im Süden wird der Col du Lautaret von den bis zu 4102m hohen Gipfeln des Massif des Ecris überragt, im Norden führt die D902 zum 2645m hohen Col du Galibier. Daher fühlen wir uns nicht wie auf einem Pass. Dazu tragen auch die 30°C Wärme bei. Wir stärken uns, bevor wir den 8 Kilometer langen, kurvenreichen Anstieg zum Col du Galibier unter die Räder nehmen. Auch dieser ist vergleichsweise einfach zu fahren. Die Ausblicke auf das Massif des Ecris und ins Guisane-Tal sind sehr imposant. Die Vegetation ist eher spärlich. Der letzte Kilometer ist dann doch knackig. Wie am Mont Ventoux wartet ein professioneller Fotograf auf Radfahrer. Am Pass ist die Rennradfahrerdichte mal wieder sehr hoch. Zu Fuß geht es auf den 2677m hohen Aussichtspunkt. Von dort haben wir eine grandiose Rundumsicht auf eine eindrucksvolle Hochgebirgslandschaft.
Es folgt eine 17 Kilometer lange Abfahrt. Wegen der außergewöhnlichen Schönheit der Landschaft "müssen" wir die rauschende Fahrt für einige Fotostopps unterbrechen.
Unser Tagesziel ist der 1400m hoch gelegene Touristenort Valloire im Tal der Valloirette. Der Name leitet sich von Vallée d'Or (Tal des Goldes) ab und hat seinen Ursprung im 11. Jahrhundert. Der Campingplatz ist sauber und ordentlich. Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen - weit weg von der recht lauten Valloirette.
Valloire - Saint Martin sur la Chambre, 55 km, 480 Hm
Augen auf und durch lautet die Deviese für die heutige Etappe.
Die einzige Erhebung ist der Col du Telegraph, der von Süden einen Anstieg von lediglich 150m darstellt. Die Abfahrt nach Saint-Michel-de-Maurienne führt kurvenreich, durch üppigen Wald, 1000 Höhenmeter steil bergab. Wie so oft die letzten Tage kommen uns Rennradfahrer entgegen. Ein schwer beladener LKW bremst uns auf den letzten Kilometern aus.
Das Arc-Tal ist eine Verkehrshauptachse von Frankreich nach Italien. Neben der D1006 führt noch die Autobahn Grenoble / Chambéry - Turin und eine Bahnstrecke durchs Tal. Aufgrund der guten Verkehrsinfrastruktur haben sich auch viele Industriebetriebe im Tal angesiedelt. Mit anderen Worten, schön geht anders. Da die D1006 von Saint-Michel-de-Maurienne nach Saint-Jean-de-Maurienne ein Gefälle von rund 100m aufweist und der Verkehr für die breite, vierspurige Straße durchaus im Rahmen ist, treten wir feste in die Pedale und bringen es schnell hinter uns. Die Innenstadt von Saint-Jean-de-Maurienne finden wir nicht wirklich schön. Daher radeln wir direkt auf der D1006 weiter nach Pontamafrey und vor dort über die ruhige D74 nach Saint Martin sur la Chambre.
Um 12 Uhr haben wir unser Tagesziel erreicht. Sehenswertes: Fehlanzeige. Dafür haben wir jetzt jede Menge Zeit zum ausspannen. Wir setzen uns in ein Café am Abzweig zum Col de Madelein. Bei Kaffee und Eis schauen wir dem Treiben auf der Straße zu. Nachdem wir so eine gute Stunde zugebracht haben, radeln wir bergauf zum Campingplatz Petite Nice (kleines Nizza). Nach kurzer Zeit steht das Zelt und die ehemals miefigen Sachen hängen zum trocknen auf der Leine. Den Rest des Nachmittags verbringen wir damit mal im, mal am Pool des Platzes zu liegen. Die Sonne gibt mal wieder alles. So kann man es auch mal eine Weile aushalten :o) Fürs Abendbrot dürfen wir Tisch und Stühle auf der Veranda eines Dauercampers benutzen, der gerade nicht da ist. Das ist echter Luxus.
Ab 19 Uhr wird es ungemütlich. Ein ausgiebiges Gewitter mit heftigen Windböen und starkem Regen tobt sich aus. Wir beobachten aus Schauspiel von der trockenen Veranda aus. Unser Zelt wird vom Wind einige Male kräftig "eingebeult", übersteht das Unwetter aber klaglos. Gegen neun Uhr beruhigt sich das Wetter etwas. In der Nach regnet es allerdings immer wieder.
Saint Martin sur la Chambre - Albertville, 66 km, 1550 Hm
Über den Col de Madelein nach Albertville
Gut erholt geht es direkt den Col de Madelein hoch. Rund 1500 Höhenmeter sind auf den ersten 18 Kilometern zu überwinden. Die Steigung liegt über lange Strecken bei 8% und mehr. Früh am Morgen ist es noch angenehm kühl und die ausgeruhten Beine haben keine Probleme mit dem schweren Anstieg. Die Strecke führt kurvenreich durch eine von Wald geprägte Landschaft. Die Straße ist in vielen Abschnitten neu asphaltiert, wohl auch, weil die Tour de France dieses Jahr über den Pass führt. Wir werden wieder von vielen Rennradfahren überholt, sonst ist es ruhig.
Beim Skiort Longchamp 1650 tritt die Straße aus dem Wald heraus. Kuhweiden und Skilifte bestimmen jetzt das Bild. Die letzten hundert Meter zum Pass liefern wir uns ein kleines Rennen. Oben werden wir von einer Gruppe Rennradfahrer euphorisch begrüßt. 2 Stunden und 10 Minuten habe wir vom Campingplatz bis zum 2000m hohen Col de Madelein gebraucht. Da staunen selbst unsere Freunde mit den 7-Kilo-Rädern.
Der Mont Blanc ist nur noch 60 Kilometer entfernt und vom Pass aus schon recht gut zu erkennen. Die kurvenreiche Abfahrt bietet im oberen Teil viele sehr schöne Ausblicke. Weiter unten im Wald wird die Straße schlechter und die vielen engen Kurven erfordern unsere volle Aufmerksamkeit. Doch auch diese anspruchsvolle Abfahrt bereitet uns viel Freude.
Im Isere-Tal radeln wir links vom Fluss auf der D66. Die Strecke führt durch Wald und Weiden sehr ruhig durch einige Dörfer. Nur einen Bäcker finden wir in keinem der Orte. Dabei sind wir schon sehr hungrig und bräuchten dringend Brot. In La Bâthie wechseln wir auf die rechte Seite der Isere. An der Autobahn liegen ein paar große Einkaufstempel, für uns sind sie aber unerreichbar. In Albertville stehen schon sehr früh Schilder zum Campingplatz. Sie geleiten uns auf ruhigen Straßen durch den Austragungsort der Olympischen Winterspiele von 1992. Kurz vor dem Ziel passieren wir dann auch endlich eine Bäckerei.
Der Campingplatz liegt mitten in der Stadt östlich des Flusses Arly. Im Osten ragt der 2037m hohe la Roche Pourrie auf. Neben dem Platz verläuft der gut frequentierte Radweg nach Ugine. Für die zentrale Lage ist es erstaunlich ruhig. Beim aufbauen des Zeltes läuft uns der Schweiß in Bächen am Körper runter. Im Schatten zeigt das Thermometer 37°C an. Die Suche nach einem Supermarkt dauert etwas und führt uns durch die halbe Innenstadt. Die ist ganz nett, zumindest ist mal wieder was los. Überall in der Fußgängerzone erklingt aus Lautsprechern Panflötenmusik. Das kann man mögen - muss man aber nicht.
Des Abends schauen wir in einem Café das Fußall WM Viertelfinalspiel Deutschland gegen Argentinien an. Vor dem Fernseher haben sich mehrheitlich deutsche Touristen versammelt. Obwohl sich das Spiel hauptsächlich im deutschen Strafraum abspielt, gewinnt unsere Elf das Spiel mit 4:0.
Albertville - Reignier, 119 km, 1960 Hm
Ein Tag mit Überraschungen.
Die Nacht ist sehr sehr warm. Wir schieben die Schlafsäcke ans Fußende und schwitzen immer noch. Irgendwann kühlt es soweit ab, dass wir doch noch Schlaf finden. Am Morgen ist es etwas bewölkt und die Temperaturen sind angenehm.

Durch die Innenstadt von Albertville (380m) radeln wir zum Olympia Park, von dem wir mehr erwartet hätten. Über Mercury erklimmen wir auf kleinen, ruhigen Straßen den 960m hohen Col de Tamie. Der untere Teil des Anstiegs erinnert uns mit seinen Kuhweiden und Heuballen, der sanften, grünen Landschaft und den hohen Bergen im Hintergrund an das Allgäu. Weiter oben verläuft die Strecke durch einen Wald. Wir sehen einige kleine Wasserfälle. Auch diese Strecke ist bei Rennradfahrern beliebt. Wir schwitzen schon wieder kräftig.
Auf der Abfahrt haben wir schöne Ausblicke auf die Montagne de la Sambuy und das 1133 gegründete Abbaye de Tamie (Abbaye = Kloster). In Faverges (500m) stärken wir uns mit frischem Kuchen vom Bäcker. Obwohl heute Sonntag ist, hat sogar der Supermarkt geöffnet. Auf ruhigen Straßen geht es den 829m hohen Col de Marais hoch. Die ruhige Strecke führt überwiegend durch Wald- und Wiesenlandschaft und bietet nochmals tolle Ausblicke auf die umliegenden gut 2000m hohen Berge.
In Thônes (600m) machen wir Mittag. Der Ort ist recht attraktiv. Am Kirchturm gibt es eine Kletterwand, das Rathaus ist schick mit Blumen dekoriert. Nach einem abschließenden Kaffee geht es bergauf nach St. Jean de Sixt (940m). Obwohl die Wolken immer dicker werden, ist es jetzt sehr heiß.
Anders als bisher haben wir heute noch keinen festen Zielort, von dem wir wissen, dass es dort einen Campingplatz gibt. Der Plan ist, morgen eine geruhsame Abschlussetappe nach Geneve zu haben. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Campingplätze nicht in den Karten verzeichnet sind und es auch keinen umfassenden Campingführer gibt. So sind wir auf unser Glück und Gespür angewiesen. Bisher ist die Campingplatzdichte sehr hoch. In Thônes, Villard-sur-Thônes und St. Jean de Sixt hätten wir unser Zelt aufschlagen können - und das hätten wir besser auch getan.
Da es noch früh am Tag ist, entschließen wir uns aber weiter zu fahren. Auf der Fahrt durch das Borne-Tal lässt die Schönheit der Landschaft etwas nach. Wir passieren noch einen Campingplatz in le Petit Saxias, bevor es durch die schönen Gorges d'Eveaux geht. Danach halten wir vergebens nach einem Schild "Camping" Ausschau. Wir folgen der D6 von Cornier über Moussy und Arbusigny nach La Muraz (820m), fahren die D15 runter nach Mornex und die D302 ostwärts nach Reignier. Über weite Strecken ist die Landschaft sehr schön und die Straßen sehr ruhig. Je später es wird, desto weniger können wir dies genießen. Zu guter Letzt fängt es auch noch an zu regnen. Nach zwei Schleifen im Regen durch Reignier finden wir in der Nähe des Bahnhofs endlich ein Hotel. 63? sind zwar mehr als wir ausgeben wollten, aber nach fast 120 Kilometern und 2000 Höhenmetern sind wir froh endlich eine Bleibe gefunden zu haben. Wir kochen eine große Portion Nudeln und springen unter die heiße Dusche.
Reignier - Geneve, 25 km, 270 Hm
Der letzte Tag
In Reignier versorgen wir uns ein letztes Mal mit Lebensmitteln und rollen dann ganz gemütlich die letzten Kilometer nach Geneve. Es ist sonnig und warm. Die Fahrt nach Geneve verläuft stressfrei.

An der Uferpromenade von Geneve in der Sonne sitzend, blicken wir auf eine unfallfreie Tour mit nur zwei technischen Defekten zurück. Bis auf wenige überschaubare Abschnitte haben wir die knapp 1.900 Kilometer auf ruhigen, verkehrsarmen Straßen zurückgelegt und viel Rücksichtnahme von Seiten der Autofahrer erfahren. Beim Wetter hatten wir von Regen und Kälte, über starken Wind bis hin zu fast 40°C Hitze alles dabei. In den wunderbaren Schluchten und Bergen Südfrankreichs haben wir mehr als 30.000 Höhenmeter überwunden. Uns sind hunderte, vielleicht sogar tausende Rennradfahrer begegnet, die Zahl der Radreisenden war hingegen sehr überschaubar.
Mittags fahren wir zum City Hostel. Dort stehen unsere Räder sicher in einem extra Raum. Die Sachen bringen wir auf unser Zweibettzimmer. Den Nachmittag verbringen wir im Strandbad an der Uferpromenade. Für 2? Eintritt pro Person können wir mit Blick auf die Stadt, die Fontäne und die umliegenden Berge im Genfer See schwimmen und uns sonnen. Beides tun wir ausgiebig.
Am Abend erkunden wir die Stadtteile zwischen Bahnhof und See. Diese sind bunt und multikulturell geprägt mit vielen Cafés, Restaurants und Kneipen. Rund um die Pont de la Ile wird es schick und teuer. Vor einem Nobelhotel steht ein Bugatti Veyron 16.4, ein eine Million Euro teurer Supersportwagen mit 1001 PS.
Das in einem großzügigen, parkähnlichen Gelände oberhalb des Genfer Sees gelegene Internationale Viertel werden wir morgen früh besuchen. Es beherbergt den Sitz der Vereinten Nationen (UN), der Welthandelsorganisation (WTO), des Hoher Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und 21 weiterer internationaler Organisationen. Die meisten der Gebäude werden wir nur aus großer Distanz zu sehen bekommen, viele durch stabile, hohe Zäune.
Gut vier Monate vor unserer Tour hatten wir uns für eine Tour am CERN (der Europäischen Organisation für Kernforschung) angemeldet. Dort steht unter anderem der weltgrößte Teilchenbeschleuniger LHC. Leider war dies zu kurzfristig um einen Termin zu bekommen, der mit unserer restlichen Planung zusammenpasste.