Frankreich per Rad - Tagebuch einer Radreise

© Christian Hartmann, Jörg Feye mail_outline 

Valloire - Saint Martin sur la Chambre, 55 km, 480 Hm

Augen auf und durch lautet die Deviese für die heutige Etappe.

Die einzige Erhebung ist der Col du Telegraph, der von Süden einen Anstieg von lediglich 150m darstellt. Die Abfahrt nach Saint-Michel-de-Maurienne führt kurvenreich, durch üppigen Wald, 1000 Höhenmeter steil bergab. Wie so oft die letzten Tage kommen uns Rennradfahrer entgegen. Ein schwer beladener LKW bremst uns auf den letzten Kilometern aus.

Das Arc-Tal ist eine Verkehrshauptachse von Frankreich nach Italien. Neben der D1006 führt noch die Autobahn Grenoble / Chambéry - Turin und eine Bahnstrecke durchs Tal. Aufgrund der guten Verkehrsinfrastruktur haben sich auch viele Industriebetriebe im Tal angesiedelt. Mit anderen Worten, schön geht anders. Da die D1006 von Saint-Michel-de-Maurienne nach Saint-Jean-de-Maurienne ein Gefälle von rund 100m aufweist und der Verkehr für die breite, vierspurige Straße durchaus im Rahmen ist, treten wir feste in die Pedale und bringen es schnell hinter uns. Die Innenstadt von Saint-Jean-de-Maurienne finden wir nicht wirklich schön. Daher radeln wir direkt auf der D1006 weiter nach Pontamafrey und vor dort über die ruhige D74 nach Saint Martin sur la Chambre.

Um 12 Uhr haben wir unser Tagesziel erreicht. Sehenswertes: Fehlanzeige. Dafür haben wir jetzt jede Menge Zeit zum ausspannen. Wir setzen uns in ein Café am Abzweig zum Col de Madelein. Bei Kaffee und Eis schauen wir dem Treiben auf der Straße zu. Nachdem wir so eine gute Stunde zugebracht haben, radeln wir bergauf zum Campingplatz Petite Nice (kleines Nizza). Nach kurzer Zeit steht das Zelt und die ehemals miefigen Sachen hängen zum trocknen auf der Leine. Den Rest des Nachmittags verbringen wir damit mal im, mal am Pool des Platzes zu liegen. Die Sonne gibt mal wieder alles. So kann man es auch mal eine Weile aushalten :o) Fürs Abendbrot dürfen wir Tisch und Stühle auf der Veranda eines Dauercampers benutzen, der gerade nicht da ist. Das ist echter Luxus.

Ab 19 Uhr wird es ungemütlich. Ein ausgiebiges Gewitter mit heftigen Windböen und starkem Regen tobt sich aus. Wir beobachten aus Schauspiel von der trockenen Veranda aus. Unser Zelt wird vom Wind einige Male kräftig "eingebeult", übersteht das Unwetter aber klaglos. Gegen neun Uhr beruhigt sich das Wetter etwas. In der Nach regnet es allerdings immer wieder.

Saint Martin sur la Chambre - Albertville, 66 km, 1550 Hm

Über den Col de Madelein nach Albertville

Gut erholt geht es direkt den Col de Madelein hoch. Rund 1500 Höhenmeter sind auf den ersten 18 Kilometern zu überwinden. Die Steigung liegt über lange Strecken bei 8% und mehr. Früh am Morgen ist es noch angenehm kühl und die ausgeruhten Beine haben keine Probleme mit dem schweren Anstieg. Die Strecke führt kurvenreich durch eine von Wald geprägte Landschaft. Die Straße ist in vielen Abschnitten neu asphaltiert, wohl auch, weil die Tour de France dieses Jahr über den Pass führt. Wir werden wieder von vielen Rennradfahren überholt, sonst ist es ruhig.

Beim Skiort Longchamp 1650 tritt die Straße aus dem Wald heraus. Kuhweiden und Skilifte bestimmen jetzt das Bild. Die letzten hundert Meter zum Pass liefern wir uns ein kleines Rennen. Oben werden wir von einer Gruppe Rennradfahrer euphorisch begrüßt. 2 Stunden und 10 Minuten habe wir vom Campingplatz bis zum 2000m hohen Col de Madelein gebraucht. Da staunen selbst unsere Freunde mit den 7-Kilo-Rädern.

Der Mont Blanc ist nur noch 60 Kilometer entfernt und vom Pass aus schon recht gut zu erkennen. Die kurvenreiche Abfahrt bietet im oberen Teil viele sehr schöne Ausblicke. Weiter unten im Wald wird die Straße schlechter und die vielen engen Kurven erfordern unsere volle Aufmerksamkeit. Doch auch diese anspruchsvolle Abfahrt bereitet uns viel Freude.

Im Isere-Tal radeln wir links vom Fluss auf der D66. Die Strecke führt durch Wald und Weiden sehr ruhig durch einige Dörfer. Nur einen Bäcker finden wir in keinem der Orte. Dabei sind wir schon sehr hungrig und bräuchten dringend Brot. In La Bâthie wechseln wir auf die rechte Seite der Isere. An der Autobahn liegen ein paar große Einkaufstempel, für uns sind sie aber unerreichbar. In Albertville stehen schon sehr früh Schilder zum Campingplatz. Sie geleiten uns auf ruhigen Straßen durch den Austragungsort der Olympischen Winterspiele von 1992. Kurz vor dem Ziel passieren wir dann auch endlich eine Bäckerei.

Der Campingplatz liegt mitten in der Stadt östlich des Flusses Arly. Im Osten ragt der 2037m hohe la Roche Pourrie auf. Neben dem Platz verläuft der gut frequentierte Radweg nach Ugine. Für die zentrale Lage ist es erstaunlich ruhig. Beim aufbauen des Zeltes läuft uns der Schweiß in Bächen am Körper runter. Im Schatten zeigt das Thermometer 37°C an. Die Suche nach einem Supermarkt dauert etwas und führt uns durch die halbe Innenstadt. Die ist ganz nett, zumindest ist mal wieder was los. Überall in der Fußgängerzone erklingt aus Lautsprechern Panflötenmusik. Das kann man mögen - muss man aber nicht.

Des Abends schauen wir in einem Café das Fußall WM Viertelfinalspiel Deutschland gegen Argentinien an. Vor dem Fernseher haben sich mehrheitlich deutsche Touristen versammelt. Obwohl sich das Spiel hauptsächlich im deutschen Strafraum abspielt, gewinnt unsere Elf das Spiel mit 4:0.

Col de la Madelein  Col de la Madelein: 2000 m.
Col de la Madelein  Abfahrt vom Col de la Madelein.
Col de la Madelein  Abfahrt vom Col de la Madelein.
Col de la Madelein  Kuhweide mit Aussicht.
Col de la Madelein  Abfahrt vom Col de la Madelein.
Col de la Madelein  Abfahrt vom Col de la Madelein.

Albertville - Reignier, 119 km, 1960 Hm

Ein Tag mit Überraschungen.

Die Nacht ist sehr sehr warm. Wir schieben die Schlafsäcke ans Fußende und schwitzen immer noch. Irgendwann kühlt es soweit ab, dass wir doch noch Schlaf finden. Am Morgen ist es etwas bewölkt und die Temperaturen sind angenehm.

Durch die Innenstadt von Albertville (380m) radeln wir zum Olympia Park, von dem wir mehr erwartet hätten. Über Mercury erklimmen wir auf kleinen, ruhigen Straßen den 960m hohen Col de Tamie. Der untere Teil des Anstiegs erinnert uns mit seinen Kuhweiden und Heuballen, der sanften, grünen Landschaft und den hohen Bergen im Hintergrund an das Allgäu. Weiter oben verläuft die Strecke durch einen Wald. Wir sehen einige kleine Wasserfälle. Auch diese Strecke ist bei Rennradfahrern beliebt. Wir schwitzen schon wieder kräftig.

Auf der Abfahrt haben wir schöne Ausblicke auf die Montagne de la Sambuy und das 1133 gegründete Abbaye de Tamie (Abbaye = Kloster). In Faverges (500m) stärken wir uns mit frischem Kuchen vom Bäcker. Obwohl heute Sonntag ist, hat sogar der Supermarkt geöffnet. Auf ruhigen Straßen geht es den 829m hohen Col de Marais hoch. Die ruhige Strecke führt überwiegend durch Wald- und Wiesenlandschaft und bietet nochmals tolle Ausblicke auf die umliegenden gut 2000m hohen Berge.

In Thônes (600m) machen wir Mittag. Der Ort ist recht attraktiv. Am Kirchturm gibt es eine Kletterwand, das Rathaus ist schick mit Blumen dekoriert. Nach einem abschließenden Kaffee geht es bergauf nach St. Jean de Sixt (940m). Obwohl die Wolken immer dicker werden, ist es jetzt sehr heiß.

Anders als bisher haben wir heute noch keinen festen Zielort, von dem wir wissen, dass es dort einen Campingplatz gibt. Der Plan ist, morgen eine geruhsame Abschlussetappe nach Geneve zu haben. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Campingplätze nicht in den Karten verzeichnet sind und es auch keinen umfassenden Campingführer gibt. So sind wir auf unser Glück und Gespür angewiesen. Bisher ist die Campingplatzdichte sehr hoch. In Thônes, Villard-sur-Thônes und St. Jean de Sixt hätten wir unser Zelt aufschlagen können - und das hätten wir besser auch getan.

Da es noch früh am Tag ist, entschließen wir uns aber weiter zu fahren. Auf der Fahrt durch das Borne-Tal lässt die Schönheit der Landschaft etwas nach. Wir passieren noch einen Campingplatz in le Petit Saxias, bevor es durch die schönen Gorges d'Eveaux geht. Danach halten wir vergebens nach einem Schild "Camping" Ausschau. Wir folgen der D6 von Cornier über Moussy und Arbusigny nach La Muraz (820m), fahren die D15 runter nach Mornex und die D302 ostwärts nach Reignier. Über weite Strecken ist die Landschaft sehr schön und die Straßen sehr ruhig. Je später es wird, desto weniger können wir dies genießen. Zu guter Letzt fängt es auch noch an zu regnen. Nach zwei Schleifen im Regen durch Reignier finden wir in der Nähe des Bahnhofs endlich ein Hotel. 63? sind zwar mehr als wir ausgeben wollten, aber nach fast 120 Kilometern und 2000 Höhenmetern sind wir froh endlich eine Bleibe gefunden zu haben. Wir kochen eine große Portion Nudeln und springen unter die heiße Dusche.

Abbaye de Tamie.  Das 1133 gegründete Abbaye de Tamie.

Reignier - Geneve, 25 km, 270 Hm

Der letzte Tag

In Reignier versorgen wir uns ein letztes Mal mit Lebensmitteln und rollen dann ganz gemütlich die letzten Kilometer nach Geneve. Es ist sonnig und warm. Die Fahrt nach Geneve verläuft stressfrei.

An der Uferpromenade von Geneve in der Sonne sitzend, blicken wir auf eine unfallfreie Tour mit nur zwei technischen Defekten zurück. Bis auf wenige überschaubare Abschnitte haben wir die knapp 1.900 Kilometer auf ruhigen, verkehrsarmen Straßen zurückgelegt und viel Rücksichtnahme von Seiten der Autofahrer erfahren. Beim Wetter hatten wir von Regen und Kälte, über starken Wind bis hin zu fast 40°C Hitze alles dabei. In den wunderbaren Schluchten und Bergen Südfrankreichs haben wir mehr als 30.000 Höhenmeter überwunden. Uns sind hunderte, vielleicht sogar tausende Rennradfahrer begegnet, die Zahl der Radreisenden war hingegen sehr überschaubar.

Mittags fahren wir zum City Hostel. Dort stehen unsere Räder sicher in einem extra Raum. Die Sachen bringen wir auf unser Zweibettzimmer. Den Nachmittag verbringen wir im Strandbad an der Uferpromenade. Für 2? Eintritt pro Person können wir mit Blick auf die Stadt, die Fontäne und die umliegenden Berge im Genfer See schwimmen und uns sonnen. Beides tun wir ausgiebig.

Am Abend erkunden wir die Stadtteile zwischen Bahnhof und See. Diese sind bunt und multikulturell geprägt mit vielen Cafés, Restaurants und Kneipen. Rund um die Pont de la Ile wird es schick und teuer. Vor einem Nobelhotel steht ein Bugatti Veyron 16.4, ein eine Million Euro teurer Supersportwagen mit 1001 PS.

Das in einem großzügigen, parkähnlichen Gelände oberhalb des Genfer Sees gelegene Internationale Viertel werden wir morgen früh besuchen. Es beherbergt den Sitz der Vereinten Nationen (UN), der Welthandelsorganisation (WTO), des Hoher Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und 21 weiterer internationaler Organisationen. Die meisten der Gebäude werden wir nur aus großer Distanz zu sehen bekommen, viele durch stabile, hohe Zäune.

Gut vier Monate vor unserer Tour hatten wir uns für eine Tour am CERN (der Europäischen Organisation für Kernforschung) angemeldet. Dort steht unter anderem der weltgrößte Teilchenbeschleuniger LHC. Leider war dies zu kurzfristig um einen Termin zu bekommen, der mit unserer restlichen Planung zusammenpasste.

Genf:Die Tour ist zu Ende.  Genf: Die Tour ist zu Ende.