Langar - Khargush Pass, 58 km, 1325 hm
Regen und Kälte, das Wetter kann auch anders
Von Langar geht es den 4344 m hohen Khargush Pass hinauf. Morgens regnet es leicht. Der Himmel hat sich komplett grau zugezogen. Den größten Höhenunterschied überwinden wir auf den ersten 20 km, wo die Piste von 2800 m auf 3600 m klettert. In und direkt nach Langar ist es am Steilsten. Mit zunehmender Höhe und zunehmendem Regen kühlt es sich auf empfindliche 8 °C ab. Zum Glück können wir einen Teil des Regens in einem verlassenen Haus aussitzen, wo wir dann auch gleich Mittag machen. Es klart erfreulich schnell wieder auf und erwärmt sich sukzessive auf bis zu 20 °C.
Die Landschaft ist geprägt von Bergen in Gelb- und Rottönen. Rechts der Straße hat sich der Pamir eine tiefe Schlucht gegraben. Hier und da stürzen kleine Bäche die Berge hinab. Um sie herum gedeiht in schmalen Streifen etwas grün, fast wie Adern. Es folgt eine Abfahrt. Der Pamir kommt uns durch sein starkes Gefälle rasch entgegen. Das graue Wasser führt offensichtlich wieder reichlich Sedimente mit sich. Bald radeln wir wieder unmittelbar an seinem Ufer. Wir machen uns bewusst: dieser vielleicht 10 m breite Bergbach makiert die Grenze zu Afghanistan. Etwa bei Kilometer 40 weitet sich das Tal. Eine steinige Hochebene breitet sich vor uns aus. Die Berge zu beiden Seiten erreichen zwar immer noch Höhen um die 5000 m, wirken aber kaum höher als ein deutsches Mittelgebirge.
Die Straße verlangt uns heute einiges ab. Das Waschbrett ist zwischenzeitlich schon richtig übel. Der Verkehr fließt nicht in homöopathischen Dosen wie erhofft. Im Laufe des Tages begegnen oder überholen uns rund 40 Autos und Motorräder. Neben uns sind noch zwei weitere Paare Radfahrer unterwegs. Ein Engländer und ein Rumäne, ein Däne und eine Ungarin.
Am frühen Abend sehen wir am Ufer des Pamir vier Trampeltiere. Eines lässt sich von uns aus nächster Nähe fotografieren. Für die Tiere stellt der Grenzfluss kein Hindernis dar. Sie schert es nicht ob sie in Afghanistan oder Tadschikistan grasen.
Wenige Kilometer später finden wir einen schönen Zeltplatz an einem glasklaren und eiskalten Bergbach. Unsere Höhenmesser zeigen 3700 m an. Damit ist es bisher unser höchstgelegender Zeltplatz.
Khargush Pass - Bulunkul, 65 km, 900 hm
Wilkommen auf dem Mars
Das Wetter ist heute wieder spitzenmäßig, die Piste weiterhin sehr herausfordernd. Die ersten 12 km zur Polizeikontrolle ist von tiefen Sandpassagen geprägt. Die Soldaten sind wie immer freundlich.
Wir kehren Afghanistan im Wortsinn den Rücken und krabbeln den 4344 m hohen Khargush Pass hinauf. Schon Kilometer vor dem Pass bewegen wir uns auf einer Höhe von 4200 m. Alle paar Kilometer begegnen wir Hirten mit ihren Ziegenherden. Diese sind sehr entspannt und lassen sich bereitwillig fotografieren. Der Pass ist erreicht, nachdem wir den gleichnamingen See linker Hand passiert haben. Kein Schild, nichts spektakuläres, einfach der höchste Punkt der Straße. Auf der Abfahrt haben wir zunehmend das Gefühl durch eine Marslandschaft zu rumpeln. Felsen und Geröll in den vorherrschenden Farben rot, gelb und grau bestimmen das Bild. Waschbrett wechselt ab mit sandigen Pasagen. Immer wieder pausieren wir um Händen und Schultern eine Pause zu gönnen.
Wenige Kilometer unterhalb des Passes wird die Straße links und rechts von 5100 m hohen Bergkämmen flankiert die unspektakulärer kaum sein könnten. Im untersten Drittel der Abfahrt bringt eine dünne Salzkruste auf den Felsen die Farbe weiß ist Spiel. Einige robuste Pflanzen schaffen es hier zu überleben. Heute ist zum Glück sehr wenig Verkehr. Insgesamt weniger als 10 PKW und Motorräder. Der Wind bläst uns den ganzen Tag ins Gesicht.
Als wir am Fuße des Passes die M41, den Pamir-Highway, erreichen könnten wir in einer Stunde in Alichur sein. Ein gut geteertes schwarzes Band zieht sich durch die Marslandschaft mit den kleinen Salzpfannen. Wir "gönnen" uns aber noch 20 km Schotter, um zum Yashilkul-See auf 3720 m zu kommen. Der Weg dorthin führt durch ein breites, sandiges Tal gesäumt von Felsen in einem Farbspektrum von rot bis grün. Dann Rücken die Berge zur Seite und wir radeln durch eine sandige Steppe. Hier können wir zwischen zwei, drei, vier Fahrspuren auswählen, die alle in dieselbe Richtung führen. Die Häuser von Bulunkul sind schon aus einigen Kilometern Entfernung zu sehen. In dem 400-Seelen-Nest ist überraschend viel los. Im Homestay hat sich eine Wandergruppe aus der Schweiz einquaiert. Später Gesellen sich noch 11 Motorradfahrer mit ihren einheimischen Begleitern dazu. Zwischen den eingeschossigen weißen Häusern steht eine Wetterstation. Im Ort gibt es einen Basketball-, Volleyball- und Fußballplatz. Geheizt wird mit dem Dung der Kühe, die Abends über die staubigen Wege in ihre Ställe kommen.
Geduscht wird in der Banja. Wer jetzt an die russische Sauna denkt, wird enttäuscht. Mit einem großen Holzofen wird Wasser gekocht, das langsam in einen Eimer tropft. Dies mischt man mit kaltem Wasser aus einem zweiten Eimer und schüttet es sich mit einer Schöpfkelle über dem Körper. Jeder kann also so heiß oder kalt duschen wie er/sie mag. Und da der Ofen in der Banja steht, ist es schon auch warm.
Bulunkul - Alichur, 59 km, 835 hm
Fantastisch schöne Nebenstrecke
Der Tag ist ein landwirtschaftlicher Knaller. Morgens fahren wir zum Yashilkul. Dafür werden zwei Euro Eintritt pro Person fällig, da der See in einem Schutzgebiet liegt. Der Weg führt über einen Hügel. Von oben wird sofort erkennbar, warum der Ort genau hier gegründet wurde. Inmitten der staubigen Ebene lässt das Wasser des Bulunkul-Sees die Ebene ergrünen. So können Tiere weiden. Auf der anderen Seite des Hügels am Yashilkul bietet sich ein komplett anderes Bild. Der See ist von kahlen, sandfarbenen Bergen umschlossen. Nur die Hänge im Südosten sind von grünen Pupfern aus Polsterpflanzen und Sukkulenten überzogen. Das Wasser des Sees ist tiefblau. Etwa 7 km vom Ort entfernt liegt oberhalb des Sees eine warme Quelle. Das natürliche Steinbecken ist mit einem Bruchsteinhaus geschützt. Das Wasser ist maximal 30 °C.
Nach unserem Abstecher zum Yashilkul umrunden wir den Bulunkul. Von Begin an breitet sich ein farbliche Spektakel um uns aus. Das Blau des Wassers und das Grün des Uferstreifens bilden einen starken Kontrast zu den Rot-, Braun- und Gelbtönen der umliegenden Berge. Immer wieder kommt noch weiß hinzu, wenn sich auf ufernahem Gestein eine Salzkruste gebildet hat. Die Berge sind stark erodiert und die Formen rund. Häufig sieht es so aus, als hätte jemanden verschiedenfarbigen Sand eine schiefe Ebene herunterrieseln lassen. Wunderschön! Der unbefestigte Weg hält die eine oder andere Herausforderung für uns bereit. Vor allem sandige Stellen, in denen man leicht stecken bleibt. Erfreulich lange Strecken bestehen aus festem und gut fahrbarem Lehm. Immer wieder erblicken wir Murmeltiere. Spätesten wenn die Distanz nur noch 50 m beträgt, sind die Tiere in ihren Erdbauten verschwunden.
Den Höhepunkt bildet ein kleiner Geysir rechte Hand der Straße. Seine Fontäne ist maximal einen Meter hoch. Häufig gluckst und gurgelt er minutenlang vor sich hin ohne nennenswert Wasser zu speien.Danach bestimmt eine sandfarbene Steinwüste für viele Kilometer das Bild. Vor dem Ort Ak Jar durchqueren wir ein trockenes Flussbett. Spärliche Gräser und salzverkrusteter Lehm bestimmen hier für kurze Zeit das Bild. Oberhalb und unterhalb setzen die Seen Sasykkul und Tuzkul blaue Farbakzente. In dem verlassenen Ort sind wir wie aus dem Nichts in eine Wolke Mücken gehüllt. Flucht erscheint das einzige Mittel. Wir wussten gar nicht, daß man auf Schotter so schnell bergauf fahren kann. Die "Mistviecher" greifen von der windabgewandten Seite an. Da sitzen dann mal schnell 10 Mücken auf jedem Arm und jedem Bein. Man kommt auf der schlechten Strecke gar nicht so schnell dazu sie totzuschlagen. Erst nach ettlichen Kilometern haben wir sie angeschüttelt. Das war unerwartet und heftig!
Mittlerweile zeigt unser GPS nur noch einen Fußweg an1). In der Realität sind es eine Fahrspuren durch eine gelbe Steinwüste. Dieser Teil ist nicht mehr ganz so aufregend. Kurz vor Alichur führt die Strecke am gleichnamigen Fluß entlang. Hier besteht der Belag aus runden Flußsteinen. Auf den ufernahen Wiesen weiden Pferde und Yaks. Da die Mücken schon wieder ihre Rüssel nach uns ausstrecken fahren wir zügig durch bis zur M41. Was für eine fantastisch schöne Strecke!
Das Dorf Alichur ist eine Ansammlung niedriger Lehmhäuser entlang des Pamir Highway. Es ist offensichtlich, daß hier Menschen nicht natürlicherweise leben. Die Siedlung wurde für Bau der Straße gegründet und macht einen armen, fast schon traurigen Eindruck. Zu unserer Überraschung ist auf der asphaltierten Hauptstraße weniger los als an vielen Tagen im Wakhan. De facto sehen wir innerhalb von zwei Stunden keine fünf Autos. Jede zweite Familie scheint ein Homestay anzubieten. Die zwei Läden haben ein überschaubares angebot, die Händler wirken lustlost.
1: Wir hatten in Bulunkul mit dem Homestay-Besitzer und den Guides der Motorradfahrer über diese Strecke gesprochen. O-Ton: " Besser als der Weg, den ihr gekommen seit - weniger Reng-Deng-Deng-Deng."
Alichur - Murghab, 108 km, 645 hm
Unendliche Weiten auf dem Dach der Welt
"Unendliche Weiten" - die bekannten Worte drängen sich uns auf den ersten Kilometern geradezu auf. Die Straße führt schnurgerade (und etwas monoton) durch eine flache Hochebene. Links von uns eine Steinwüste, rechts sprießt in einem schmalen Streifen entlang des Alichur etwas Gras. Auf den Wiesen grasen Ziegen. Direkt neben der Straße haben Murmeltiere ihre Bauten. Die Tiere scheinen an den Verkehr gewöhnt, sodass wir sie aus einer Entfernung von 20 m beobachten können. Die Berge sind weit in den Hintergrund gerückt. Die Straße ist gut asphaltiert, der Wind schiebt. Mit einem Auto oder LKW alle 10-15 min. können wir sehr gut leben.
Das Bild ändert sich kurz bevor wir den 4137 m hohen Naizatash Pass erreichen. Hier rücken die Berge wieder nahe an die Straße heran. Der vorherrschende Farbton variiert zwischen sandfarben und rot. Die Hänge zu beiden Seiten sind bizarr erodiert. Aus dem Verwitterungsschutt ragen Spitzen, Pyramiden und manchmal auch Kegel heraus. Eine Formen- und Farbenvielfalt, daß es uns mal wieder schier das Blech weghaut. Und das Schönste, von hier geht es stetig bergab. Wir müssen nur Bremsen um nicht zu schnell werden und die Landschaft angemessen genießen zu können. Im oberen Viertel lädt ein einsames Haus rechts der Straße zum Verweilen ein. Es ist das Guesthaus eines alten Ehepaars. Sie läuft stark gebeugt und hat ein freundliches, braungebranntes Gesicht. Er hat einen ausgeprägten Ziegenbart und trägt einen grauen Filzhut.
Im unteren Teil weitet sich die Schlucht wieder. Im Tal angekommen fließt der Murghab in großen Schleifen durch satte Wiesen, auf denen Ziegen und Kühe grasen. Vor Murghab ist mal wieder ein Polizeiposten der unseren Pass und das Visum sehen will, um alles feinsäuberlich in ein Büchlein zu schreiben.
Der 6400 Einwohner-Ort Murghab wirkt auf uns ähnlich trostlos wie schon Alichur. Das Bild bestimmen eingeschossige, weiß getünchte Häuser mit Flachdach, die sich zwischen Highway und Fluß ausbreiten. Auf dem Basar sind die einzelnen Läden in Containern untergebracht, zwischen denen ein staubiger Weg verläuft. In Alichur machen offensichtlich alle Reisenden Station1). Im Hostel treffen wir etliche bekannte Gesichter wieder. Insgesamt sind wir 6 Radfahrer allein in diesem Haus. Das gemeinsamen Abendbrot wird zu super netten Runde mit zwei Gleichgesinnten aus Spanien und England sowei einem Tramper aus Israel.2)
1: Fließendes warmes Wasser ist allerdings selbst in der größten und wichtigsten Stadt im Pamir alles andere als selbstverständlich. WLAN gibt es nur theoretisch.
2: Die jungen Radnomaden aus Dänemark und Ungar haben so schlechte Erfahrungen mit dem tadschikischen Essen gemacht, dass sie es vorziehen im Hof ihr eigenes essen zu kochen.
Murghab - Ak-Baital Pass, 88 km, 1165 hm
Der Höhepunkt dieser Tour, 4655 m!
Frisches Brot zu bekommen ist echt schwierig. Da kaufen wir es schon extra früh Morgens auf dem Basar und bekommen doch nur welches vom Vortag.😒
Morgens haben wir etwas Gegenwind. Die Landschaft ist weit und trocken. Nach einigen Kilometern rücken die Berge wieder näher an die Straße. Das ist landschaftlich deutlich reizvoller. Abermals herrschen die Farben von Sand über Braun bis Rot vor. Die Formensprache entspricht der der vergangenen Tage. Am Wegesrand flitzen immer wieder Murmeltiere durch die Steppe. Von Zeit zu Zeit haben wir das Glück einige auch aus der Nähe beobachten zu können. Die pummeligen, hellbraunen Tiere sind erstaunlich flink. Einige Fotostopps werden uns leider von Mücken verdorben. Mittags haben wir das Glück in einem Yurt-Camp essen zu können. Das ist super entspannt und wir können wir uns auch einige Minuten hinlegen.
Der Anstieg zieht sich über 75 km. Wobei uns die ersten 70 km eben vorkommen. Langsam aber sicher arbeiten wir uns von 3600 auf 4300 m hoch. Der Verkehr ist völlig vernachlässigbar. Die Straße gut asphaltiert. Der Wind dreht und schiebt uns eine ganze Weile. Die Landschaft ist karg und trocken1). Berge so noch wie der Mont Blanc, scheinen kaum mehr als bunte Hügel zu sein.
Die letzten Kilometer haben es dann in sich. Der Wind dreht wieder und bläst und jetzt mit ziemlicher Kraft ins Gesicht. Dazu zieht auch noch die Steigung an. So sind die letzten 7 km echt hart2). Oben auf dem 4655 m hohen Ak-Baital Pass freuen wir uns trotzdem wie die Schneekönige. So hoch waren wir noch nie. In der Abfahrt ist dann der Asphalt weg und wir rumpeln über Schotter zu Tal. Uns umgiebt ein gigantisches Hochgebirgs Panorama. Berge, fünf- bis sechstausend Meter hoch. Ettliche mit ausgedehnten Schneefeldern. Der Wind bläst weiter kühl und mit Kraft. "Unten" auf rund 4300 m Höhe finden wir ein schönes Plätzchen für unser Zelt nahe eines kleinen Flusses. Oben im Tal grüßen schneebedeckte Sechstausender.
1: Hier fallen im ganzen Jahr nur 72 mm Niederschlag. In der Sahara sind es 45 mm und die Karlsruhe 770 mm.
2: In der dünnen Luft fehlen uns bestimmt 30% der Leistung, unterm Strich kommen wir aber gut mit der Höhe zurecht. Immerhin stehen uns pro 500 m Höhe rund 5% weniger Sauerstoff zur Verfügung.
Ak-Baital Pass - Karakul, 82 km, 965 hm
Ein langer Zaun irgendwo im Nirgendwo
Die Nacht auf 4300 m Höhe war richtig kalt. Kurz vor Sonnenaufgang hat Jörg im Zelt -1 °C abgelesen. Draußen wird es sicher noch 2-3 °C kälter gewesen sein. Zum Glück wärmt die Sonne die Luft zügig auf. Beim Frühstück müssen wir uns aber noch mit einstelligen Plusgraden begnügen. In der Nacht hat mir die Höhe dann doch Probleme bereitet, einige Male hatte ich das beklemmende Gefühl nicht ausreichend Luft zu bekommen.
Auch heute bläst uns wieder den ganzen Tag ein teils kräftiger Wind ins Gesicht. Die ersten 20 km etwa bis zur Straßenmeisterei sind geschottert. Der von Gletschern gespeiste Bergbach breitet sich in einem hunderte Meter breiten Bett aus und bildet dabei verschiedene Arme aus. Vereinzelt sehen wir Murmeltiere. Bemerkenswert sind die kleinen graubraunen Vögel, die in der Nähe des Wassers leben und in nur wenigen Zentimetern Höhe über die Straße fliegen. Das Tal ist gesäumt von Bergen in Farben von sand, braun, rot bis hin zu kupfergrün.
Der asphaltierte Teil der Straße verwendet ein sehr weiches Bitumen, in dem unsere Schuhe selbst bei 20 °C Außentemperatur tiefe Abdrücke hinterlassen. Rechter Hand begleitet uns seit gestern ein rund 2,5 m hoher Stacheldrahtzaun. Er schützt die Grenze zu China, die allerdings einige Kilometer weiter auf den Kämmen der Berge verläuft1).
Am frühen Nachmittag zeichnet sich am Horizont ein blaues Band ab, daß von schneebedeckten Bergen umgeben ist. Dieses Band weitet sich während der Abfahrt zum Karakul See. Aus dem See steigt Wasserdampf auf, der Wolken bildet, die in Richtung Norden ziehen. Der Karakul ist ein Endsee, hat also nur Zuflüsse, aber keinen Abfluß. Daher ist sein Wasser leicht salzig und nicht für die Bewässung von Feldern oder das Tränken von Vieh geeignet. In einer Höhe von 3900 m gelegen gehört der Karakul zu den höchstgelegenen Seen der Welt. Er füllt den Einschlagskrater eines Meteoriten aus.
Der Ort Karakul besteht wieder aus den eingeschossigen, weiß getünchten Lehmhäusern zwischen denen ein verwirrendes Netz aus staubigen Wegen verläuft. Fließendes Wasser gibt es nicht. Alles Wasser muss mit großen Handpumpen aus dem Boden gefördert werden. Der einzige kleine Laden, den wir ausmachen können hat ein erbärmliches Angebot. Insgesamt wirkt der Ort auf uns sehr arm. Durch den starken Gegenwind war die Etappe sehr anstrengend.
1: Der Zaun sieht nicht gerade unüberwindlich aus. Vielleicht hätte man die hier so rare Ressource Holz sinnvoller verwenden können.
Karakul - Sary Tash, 105 km, 815 hm
Gegenwind für Große
Morgens rollt es noch sehr gut. Bei fast Windstille und blauem Himmel radeln wir am Karakul entlang. Links und rechts der Straße bestimmt Sand das Bild. Direkt vor uns zeichnet sich die weiße Kappe des 5811 m hohen Kon-Chukurbash gegen den Himmel ab. Bereits im ersten Anstieg merken wir, daß wir schon auf 3900 m gestartet sind. Bei einer Steigung um die 8% wird die Puste schnell zum limitierenden Faktor.
Doch das wahre Gesicht des Tages offenbart sich zwischen den Pässen. Ein teils heftiger Wind von links vorne. Dieses Tal ist berühmt berüchtigt für seine starken Winde. Doch das Wissen nützt nichts, wenn man selbst in der Abfahrt alle Kräfte mobilisieren muss um voranzukommen. Auch der Blick für die Landschaft, die immer mondähnlicher wird, geht bei diesem Wind verloren. Fünf Radfahrer, neben uns die Kollegin aus England und zwei Bikepacker aus Spanien, kommen gleichzeitig am tadschikischen Grenzposten an.
Der 4336 m hohen Kizil Art Passes ist einen starken Kilometer später erreicht. Die extrem trockene Mondlandschaft Tadschikistans geht auf der kirgisischen Seit nahezu unmittelbar in grüne Hänge über. Das geht so schnell, dass es uns fast die Sprache verschlägt. Die Abfahrt ist zu beginn steil, ruppig. Wenige hundert Höhenmeter unterhalb des Passes, am Ende des Steilstückes, bietet ein Homestay den ersten Windschatten des Tages. Wegen der exklusive Lage verlangen Sie für die Mahlzeit das doppelte des üblichen Preises - egal. Der Gegenwind bleibt uns erhalten, was mit der Zeit ganz schön nervig wird. Anstrengend ist es sowieso. Nach einiger Zeit öffnet sich ein breites Tal, in dem sich ein gletschergespeister Fluß ausbreitet. Abermals baht sich ein Geflecht unzähliger Einzelströme ihren Weg durch das breite Kiesbett. Saftige Wiesen bieten Futter für große Schaf- und Kuhherden. Die Hänge links und rechts werden von rötlichen Steinschichten bestimmt. Hinter uns dominiert ein vergletscherter Gipfel das Bild. Vor uns hängen graue Wolken. Eine "Staubteufel" wirbelt durchs Tal. Der kirgisische Grenzposten ist unten im Tal eingerichtet, rund 25 km vom Tadschikischen. Direkt fällt uns auf, daß unser Pass elektronisch gescannt und auch unser Gesicht elektronisch abgeglichen wird. Schon ein Unterschied zu den handschriftlichen Listen auf der tadschikischen Seite. Das Tal öffnet sich noch weiter. Alle paar Kilometer habe nomadische Viehzüchter ihre Jurten aufgestellt. Moderne Wegelagerer, die meisten kaum 1,20 m groß lassen uns erst passieren, nachdem wir uns ihre Gunst mit Bonbons und Luftballons erkauft haben.
Auf den letzten Kilometern treibt uns tatsächlich zu einem beträchtlichen Teil die Aussicht auf Internet an. Doch Sary Tash ist wie eine Fata-Morgana, die wir lange am Horizont sehen, die aber einfach nicht näher kommen will. Nach 11 Tagen "Entzug" können wir wieder Nachrichten Senden. Und nach einer Woche auf rund 4000 m wieder "unten" auf 3200 m zu sein fühlt sich sehr gut an.