Sary Tash - Pik Lenin, 60 km, 665 hm
"Abstecher" zum Pik Lenin
Entlang der Transalai Bergkette radeld wir westwärts. Linke Hand behrreschen die grau-weißen Berge die Landschaft. Auf den Wiesen zu ihren Füßen grasen Ziegen, Kühe, Pferde und Yaks. Zu unserer Rechten begrenzen sanft geschwungene grüne Hügel das Tal. Gelegentlich breiten sich Felder mit hellrot blühenden Blumen aus. Drumherum stehen dutzende Bienenkästen. Auf gutem Asphalt, leicht bergab und mit leichtem Rückenwind kommen wir die ersten 30 km sehr zügig voran.
In Sary Mogul beginnt der Schotterweg hinauf zum Pik Lenin1). Bis auf einige sandig Abschnitte ist die Piste gut fahrbar. Aus der grünen Ebene wachsen sanfte, nur wenige 10 m hohe Hügel. Schon im Laufe des Vormittags bildet sich ein dünner Wolkenschleier vor den schneebedeckten Bergen, der am Nachmittag dichter wird.
Unser Tagesziel ist ein Yurt-Camp zwischen sanften Hügeln und kleinen Seen. Der 7134 m hohen Pik Lenin ist Luftlinie nur 18 km entfernt. Leider ist er heute Nachmittag die meiste Zeit in weiße Wolken gehüllt. Im Tal bilden sich tiefgraue Wolken aus, die sich in Form eines Gewitters abladen. Auch in den Bergen regnet es leicht, was für einen kurzen Moment den Wolkenschleier vom Pik Lenin hebt.
1: Vom russischen Пик Ленина = Pik Lenina.
Pik Lenin - Sary Tash, 60 km, 335 hm
Eine magische halbe Stunde
Früh am Morgen spiegelt sich Pik Lenin in den kleinen Seen. Wir genießen den magischen Moment. Schon nach einer halben Stunde kommt Wind auf und die wunderbaren Spiegelungen sind passé.
Die Rückfahrt nach Sary Tash bietet nichts Neues. Wir sind kaum schneller als gestern beim Aufstieg, nur das die Hangabtriebskraft heute die Arbeit übernimmt. Auf der Hauptstraße fallen uns mit Kohle beladene LKW auf. Genutzt wird alles vom Kleintransporter bis zum 40-Tonner. Aktuelle Fahrzeuge genauso wie museumsreife Schätzchen.
Der Geldautomat in Sary Tash funktioniert nicht, auch gibt es keine Bank Filiale. So können wir weder kirgisische Som abheben noch unsere verbliebenen tadschikischen Somoni wechseln. Die zwei Lebensmittelläden sind recht gut sortiert. Das Wort Service scheint aber ein Fremdwort zu sein. Immerhin lässt man uns hinter der Theke unsere Sachen zusammensuchen. Aber noch während wir bezahlen ist das Gespräch mit der Nachbarin wichtiger. Zum Glück treffen wir am Laden Radfahrer auf dem Weg nach Tadschikistan, so haben wir am Ende des Tages kirgisische Som für etwa 4 Tage in der Tasche1).
1: Das erste Geld haben wir auf dem Weg zum Kizil Art Passes gewechselt. Morgen kommt uns ein weiterer Radfahrer entgegen. Wir können abermals Geld wechsel, sodass es uns bis Osch reicht. ... man muss sich nur zu helfen wissen.
Sary Tash - Gulcha Schlucht, 80 km, 705 hm
Übernachtung mit Familienanschluss
Der Tag beginnt mit einem eher wenig spektakulären Anstieg auf 3615 m. Der Rest der Strecke ist weitgehend downhill. Erst durch Hänge aus Wiesen durchsetzt mit hellen Felsen, sukzessive wird die Vegetation dichter. Heidepflanzen und kleinen Büschen werden zunehmend zu Nadelbäumen. Die Wiesen werden fetter, hier weiden aber keine Tiere, sie sind für die Heuernte bestimmt. Das Heu wird auf den flachen Dächern der Häuser gestapelt. Je fruchtbarer das Tal, desto kürzer die Distanz zwischen den Dörfern. Hier wachsen auch große Laubbäume - diese hatten wir zuletzt im Wakhan gesehen. In der Mitte des Tals fließt ein Bach, der von links und rechts immer wieder Zuwachs bekommt.
Die Berge werden zunehmend von roten Gesteinsschichten bestimmt, die vielerorts um 45 Grad gekippt sind. Dieser Abschnitt des Tals ist besonders attraktiv. Am Fluss stehen Jurten und Bauwägen. Kirgistan ist nicht ohne Grund sehr viel grüner als Tadschikistan. Einer dieser Gründe zieht dunkelblau stetig hinter uns her. Paradoxerweise haben wir Gegenwind.
Um Campingmöglichkeiten ist es schlecht bestellt. Dort wo das Tal breit genug ist, liegen die Dörfer dicht beieinander. Dort wo es keine Dörfer gibt ist das Tal sehr schmal. Daher überlegen wir nicht lange, als wir das Schild zu einem Yurt-Camp sehen. Dies besteht aus einem UNHCR-Zelt, einer Yurte und einem Container. Die Familie hat fünf Kinder. 2 Mädchen im Grundschulalter, 2 Kleinkinder und einen Teenager. Die zwei Mädchen interessieren sich für alles. Auch stecken sie voller Energie. Sie machen mit uns Klimmzüge und wir spielen gemeinsam Volleyball. Letzteres macht ziemlich Laune, auch weil nach einer halben Stunde auch die Großmutter und die Mutter der Kleinkinder mit spielen. Am Abend kommen die Männer von der Heuernte heim.
Gulcha Schlucht - nahe Ylai-Talaa, 82 km, 965 hm
Der kirgisische ADAC - braue Pferde statt gelber Engel
In der enge Schlucht dominieren die Farben grau und rot. Bis Gulcha wandeln sich die Berge in niedrige, leicht gewellte Hügel. Das Gras auf diesen Hügeln ist stellenweise schon verdorrt. Wir sind 2 Tage vor unserem Zeitplan und beschließen spontan auf kleinen Nebenewegen nach Uzgen zu radeln. Die ersten 15 km sind nur mäßig attraktiv. Ein Dorf reiht sich an das Nächste. Jenseits der Dörfer reichen die Wiesen weit die sanften Berge hinauf. Nur hier und da ragen einzelne Felsen als rote oder graue Farbtupfer aus dem Grün heraus. Auf den Wiesen ist das Heu zu kegelförmigen Haufen aufgeschichtet. Diese können gut einen Meter hoch sein. Auf den noch nicht abgeernteten Wiesen steht das artenreiche Gras oft kniehoch. Dort schneiden ganze Familien das Gras mit der Sense. Das fertige Heu wird mit allen verfügbaren Fahrzeugen in die Dörfer transportiert. Dass das Heu links und rechts einen Meter über die Ladefläche schaut und auf der Straße schleift ist dabei die Norm. Neben kleinen und großen LKW sind auch Pferde im Einsatz, die ein einfaches Holzgeschirr hinter sich herschleifen.
Der höchste Punkt ist bei etwas über 2400 m erreicht. Hier ist der kirgisische ADAC im Einsatz . Der VW Golf wird aber nicht von einem gelben Engel, sondern von zwei braunen Pferden abgeschleppt. War die Straße bergauf für eine Schotterstraße gut zu fahren, zeigt sie sich in der Abfahrt eher von der ruppigen Seite.
Es geht durch ein breites Tal. Die sanften Hügel in der Talmitte sind weiterhin mit Wiesen bedeckt. Im Hintergrund treten jetzt stärker rot und weiße Felsen hervor. Der Fluß hat sich tief eingegraben, sodass es uns sehr schwer fällt einen Zeltplatz in Wassernähe zu finden. Außerdem weiden in diesem Abschnitt sehr viele Pferde und Kühe. Am Späten Nachmittag werden wir endlich fündig. Am Abend ziehen Vogelschwärme über unser Zelt. Nachdem die Sonne untergegangen ist beginnen die Grillen mit ihrem Konzert.
Kirgistan / Tadschikistan ein Vergleich
Mittlerweile ist für uns offensichtlich, daß Kirgistan in der Entwicklung deutlich fortgeschrittener ist als Tadschikistan. In jedem Dorf gibt es Strom. Die Straßen sind deutlich besser. Es gibt Bäcker und deutlich häufiger die Möglichkeit ins Internet zu gehen. Die kleinen Läden haben eine größere Auswahl und auch in den Guesthäusern und Cafes herrscht eine größere kulinarische Vielfalt. Heute haben wir nach dreieinhalb Wochen erstmals wieder einen "echten" Kaffee getrunken. Auf den Hauptstraßen sind große Mercedes Sprinter als Kleinbusse im Einsatz. Auf der M41 zwischen Sary Tash und Osh herrscht ein reger LKW-Verkehr, wobei ein Großteil auf Kohletransporte entfällt.
Beiden Ländern gemein ist, daß in den kleinen Läden das Geld sehr häufig in Pappkartons (etwa so groß wie ein Schuhkarton) aufbewahrt wird. Die Scheine fliegen darin herum wie eine lose Blattsammlung
Ylai-Talaa - Osch, 118 km, 680 hm
Frust auf den letzten Kilometern
Allmählich weitet sich das grüne Tal und bietet nun auch Platz für Ackerbau. Vor allem Getreide und Mais fallen uns auf. Die Orte werden größer und wir sehen seit langem wieder Bäume in größerer Anzahl. Wieder ist die Pappel besonders häufig anzutreffen. Das Zusammenspiel von sanft gewellten Hügeln mit verdortem Gras, pappelbesäumten Straßen und einem blauen Fluß könnte auch irgendwo in Südeuropa anzutreffen sein.
Wir verlieren immer mehr an Höhe und der Feldbau wird immer dominanter. Auch auf der Straße nimmt der Verkehr immer mehr zu. Etwa 20 km vor Uzgun wählen wir eine Nebenstraße, die laut GPS gute Straßenverhältnisse erwarten lässt. Was als ziemlch holpriger Weg beginnt ähnelt am Ende ehe einem Bachlauf als einer Fahrspur. Ganze Schwärme roter Libellen verstärken diesen Eindruck noch. Wir ziehen es trotzdem durch.
Die Landschaft wird immer fruchtbarer. Die Erde ist sehr dunkel. Bisweilen wird die Straße von 2,5 m hohem Schilf gesäumt. Objektiv betrachtet ist die Landschaft nicht sonderlich spannend, aber nach all der Ödnis in Tadschikistan übt sie doch einen gewissen Reiz auf uns aus. Uzgun empfinden wir als enttäuschend. Das im Reiseführer beschriebene Minarett und die Mausoleen mögen historisch bedeutend sein, einen längeren Abstecher rechtfertigen sie keinesfalls. Auch bietet die 50.000 Einwohner-Stadt keine Unterkunft.
Die Hauptstraße nach Osh ist eine noch größere Enttäuschung. Ein nahezu unablässiger Strom an Autos und schweren LKW rauscht an uns vorbei. Die Straße ist laut, wir werden immer wieder mit sehr wenig Abstand überholt und es riecht enorm nach Abgasen. Auch die fruchtbaren Felder des Fergana-Tals bieten keine Ablenkung für das Auge.Die Unterkunft auf halbem Wege nach Osh direkt an der Straße lassen wir links liegen. In Osh erfährt das Verkehrsgewusel noch einmal eine Steigerung, sodass diese 55 km zwar leicht zu fahren sind, aber sehr stressig. In Osh haben wir eine geräumige Unterkunft mit Klimaanlage und schon bald ist diese kleine Episode auf der langen Reise vergessen.
Der Basar in Osch ist besonders bunt und vielfältig. Wirklich ein Erlebnis. Es gibt sogar zwei Fahrradhändler. Fahrradkartons bekommen wir aber keine. Am Ende wickeln wir unsere Räder in zig Meter "Frischhaltefolie" ein, was erstaunlich gut funktioniert. Der Suleiman Berg und das Naturhistorische Museum kann man besuchen - muss man aber nicht.
Unser Fazit
Insgesamt haben wir in den letzten 4 Wochen rund 1750 km und 21000 Höhenmeter zurückgelegt. Wir wurden bei 43 °C Hitze gegrillt und hatten Minusgrade in der Nacht. Die Schotterpisten haben Fahrer und Material malträtiert. Auf den über 4000 m hohen Pässen wurde die Luft schon ganz schön dünn. Ich hatte fast 2 Wochen Probleme mit der Verdauung. Und doch: Die atemberaubend schöne Landschaft und die liebenswerten Menschen waren all diese Strapazen wert. Die Menschen haben wir als sehr ehrlich und freundlich kennengelernt.