Albanien per Rad - Tagebuch einer Radreise

© Christian Hartmann, Jörg Feye mail_outline 

Tirana, Anreise

Ein Tag am Flughafen

Nach gerade mal 2 Stunden Flugzeit landen wir in Tirana. Leider kommen unsere Fahrräder nicht in Albaniens Hauptstadt an. Die Schlange vor dem Fundbüro ist ewig lang. Erst 3 Stunden nach unserer Ankunft können wir unsere Räder als vermisst melden. Die Berge an Gepäck rund um das Fundbüro lassen uns zweifeln, dass die Nachlieferung reibungslos verlaufen wird. Die Fahrt mit dem Taxi in die Innenstadt kostet 20 Euro. Der Fahrer kennt sich aus und fährt sehr vernünftig. Unser Guesthouse mit Gartengrundstück liegt zwischen Wohnhochhäusern in einer ruhigen Seitenstraße. Das Haus können wir voll und ganz empfehlen. Pizzeria, Bars und kleine Läden sind in unmittelbarer Nähe. Der Skanderbeg-Platz ist wenige Gehminuten entfernt. Neben den wenigen historischen Gebäuden fallen vor allem die vielen postmodernen Hochhäuser auf, die auch weiterhin wie Pilze aus dem Boden zu sprießen scheinen. An erstaunlich vielen Straßen führen Radwege entlang die auch kräftig genutzt werden. Die Ampeln sind supermodern. LED-Leuchten ziehen sich den ganzen Mast entlang und leuchten in Grün, Gelb oder Rot. Alle Ampeln zählen bei Grün und Rot die verbleibende Zeit herunter. Wie repräsentativ das moderne Stadtzentrum von Tirana wohl für den Rest des Landes ist?

Tirana - Tale Beach, 75 km, 155 hm

Gerade noch rechtzeitig

Morgens wissen wir erst einmal nur, dass unsere Räder in Tirana angekommen sind. Ob und wann sie an die Unterkunft geliefert werden ist nicht rauszubekommen. Gegen 14 Uhr bekommen wir den Anruf aus unserer Unterkunft: die Räder sind angekommen! Gerade noch rechtzeitig. Um 15 Uhr sitzen wir endlich auf den Rädern. Auf zum Teil verschlungenen Pfaden versuchen wir dem Großstadtverkehr zu entkommen. Nach etwa 30 km haben wir den Großraum Tirana endlich hinter uns gelassen. Ob eine Straße holprig oder gut, viel befahren oder ruhig ist, ist anhand der Karte kaum auszumachen. In allen Ortschaften müssen wir extrem aufpassen, weil immer wieder spontan angehalten oder eine Tür geöffnet wird. Auch mit fehlenden Gullydeckeln, Schwellen zur Verkehrsberuhigung1) und Schlaglöchern müssen wir jederzeit rechnen. Albaner sind Verkehrshindernisse wie Pferdefuhrwerke, Radfahrer oder Fußgänger gewöhnt und fahren entsprechend umsichtig. Also alles entspannt 😎. Landschaftlich ist die Strecke wenig attraktiv. Kurz vor unserem Ziel reihen sich die Autos in Richtung Tirana aneinander. An allen Zufahrten von der Küste stehen Verkehrspolizisten. Anscheinend haben viele Hauptstädter den Sonntag am Strand verbracht. Durch die Urlaubszeit sind die Unterkünfte an der Adria stark nachgefragt. Durch Nachfrage in einem Restaurant wird uns eine Privatunterkunft in der zweiten Reihe vermittelt. Zu unserer Überraschung bekommen wir um 19:30 in den Restaurants kein Essen mehr. Da ist es ein Glück, dass wir in unserer Unterkunft eine Kochgelegenheit haben. Finanziell gesehen lohnt selber kochen kaum. Auch ist die Auswahl in den kleinen Läden meist sehr bescheiden.

1: Bremsschwellen gibt es in rauen Massen. Meist ein "Wulst" aus Asphalt, der sich optisch kaum von der Straße abhebt.

Tale Beach - Lake Shkodra, 75 km, 190 hm

Arm und Reich

Heute sitzen wir schon früh Morgens auf den Rädern. Nach der zum Teil drückenden Hitze gestern Nachmittag fährt es sich bei Temperaturen um die 30 °C sehr angenehm. Auf ruhigen kleinen Wegen streifen wir das Buna-Delta, ein Feuchtgebiet und Lebensraum vieler Vögel. Leider sind selbst hier wilde Müllkippen, die offensichtlich auch immer mal wieder angezündet werden, ein Problem. Der Unterschied zwischen arm und reich ist augenfällig. Auf der einen Seite große Autos deutscher Hersteller, auf der anderen Seite abgemagerte Esel, die Heukarren ziehen oder Frauen, die eine Schubkarre mit Mist schieben. In der Ebene wird Landwirtschaft betrieben. In kurzen Abständen radeln wir durch kleine Orte. Die Fernsicht ist leider sehr eingeschränkt. Die nahen Berge können wir nur als Konturen erkennen. Der Kaffeestopp in einem kleinen Dorfcafé überrascht mit gutem Espresso für kleinen Preis. Die Menschen sind offensichtlich interessiert und aufgeschlossen. Da die ältere Generation häufig kein Englisch spricht beschränkt sich der Austausch auf einige rudimentäre Informationen. Gegen Mittag erreichen wir Shkodra. Die Innenstadt beeindruckt mit einer Fußgängerzone, in der sich Restaurants und Cafés aneinanderreihen. Einheimische und Touristen sind auf Fahrrädern unterwegs. Die oft freizügige Mode der Frauen bietet keinen Hinweis darauf, dass mehr als die Hälfte der Albaner:innen Muslime sind. Wir beenden den Tag auf einem Campingplatz am Shkodrasee1), zu einer Zeit an der wir gestern erst losgefahren sind. Das Wasser ist bestimmt 26 °C warm und bei jung und alt beliebt. Auf der Straße sind uns neben albanischen vor allem italienische Kennzeichen aufgefallen. Auf dem Campingplatz stammt mehr als jedes zweite Fahrzeug aus Deutschland.

1: auch Skutarisee

Fischreusen  Fischreusen
Ein typisches Dorf. In dem Fass wird Wasser erhitzt.  Ein typisches Dorf. In dem Fass wird Wasser erhitzt.
Blick auf den Festungshügel Rozafa in Shkodra.  Blick auf den Festungshügel Rozafa in Shkodra.
Bleimoschee in Shkodra  Bleimoschee in Shkodra
Bleimoschee in Shkodra Bleimoschee in Shkodra

Lake Shkodra - Boga, 42 km, 980 hm

Es geht aufwärts

Unser Weg führt uns nach Norden in die Berge, die des Morgens noch in dichten Dunst gehüllt sind. Die meiste Zeit steigt die Straße nur sehr sanft an. Nach etwa 2 Stunden haben wir die landwirtschaftlich genutzte Ebene verlassen und sind in der Bergwelt angekommen. In dem felsigen Tal wachsen Lavendel und Kiefern. Die Flussbetten sind weitestgehend ausgetrocknet. Im Abstand von einigen Kilometern liegen einzelne Häuser an der Strecke. So haben wir zweimal die Gelegenheit in einem Café Rast zu machen. Je höher wir kommen desto interessanter wird die Bergwelt um uns herum. Die grauen Felsen sind bis fast zu den Gipfeln mit Wiesen und Bäumen durchsetzt. Da Jörg noch nicht ganz so trainiert ist, beenden wir den Tag auf halber Höhe zum Pass auf einem ansprechenden Campingplatz mit Restaurant und Gästehaus. Es gibt einen kleinen Pool dessen Wasser aber um einiges kälter ist als der Shkodrasee gestern.

Auf dem Weg nach Theth. Pause im Schatten eines Baumes.  Auf dem Weg nach Theth. Pause im Schatten eines Baumes.
Auf dem Weg nach Theth.  Auf dem Weg nach Theth.
Auf dem Weg nach Theth. Auf dem Weg nach Theth.

Boga - Nderlysaj, 41 km, 880 hm

Übernachtung mit Familienanschluss

Die erste Überraschung des Tages bricht schon in der Nacht über uns herein. Ein lang anhaltendes Gewitter mit zum Teil ergiebigem Regen entlädt sich über den Bergen. Es dauert bis in die Morgenstunden. Mit dem Regen hat es sich auf unter 20 °C abgekühlt. Auch den Rest des Tages dominieren dichte Wolken. Erst in Theth lassen Wolkenlücken hin und wieder die Sonne durchblicken. Der durchgehend asphaltierte Anstieg hat eine recht gleichmäßige Steigung und ist nicht zu anspruchsvoll. Das Ausflugslokal am Pass sehen wir erst nicht, obwohl wir keine 50 Meter davon entfernt stehen - so dicht ist der Nebel. Auf der einspurigen Straße wird es bei Gegenverkehr regelmäßig eng. Auch die Abfahrt ist weitestgehend asphaltiert. Die Bauarbeiten sind noch nicht gänzlich abgeschlossen. Aus diesem Grund sind auch immer wieder schwere LKW auf der Straße unterwegs. Da Theth mittlerweile einfach zu erreichen ist sprießen in dem einst verschlafenen Dorf überall Guesthouses aus dem Boden. Zum Glück sind die meisten Gäste zum Wandern hier, sodass man sich an den Hauptsehenswürdigkeiten, der Kirche, dem Wohnturm und dem Wasserfall nicht auf den Füßen herum steht. Die Lage umringt von hohen Bergen kommt nicht so recht zur Geltung, da die meisten Gipfel in Wolken gehüllt sind. Am besten hat uns die Wanderung zum Wasserfall gefallen. Die Fahrt am Shala-River entlang ist dann nicht mehr ganz so komfortabel, da auf ziemlich grobem Schotter. Die spektakuläre enge Schlucht ist ein echter landschaftlicher Leckerbissen. Wir beenden den Tag an einem ruhig gelegenen Guesthouse in der Nähe des "Blue Eye", einem kleinen Wasserfall. Da wir die einzigen Übernachtungsgäste sind finden wir schnell Familienanschluss. Obst und Gemüse kommt aus dem eigenen Garten. Bis auf das Zirpen der Grillen ist es ruhig.

Kirche in Theth.  Kirche in Theth.
Wasserfall in Theth.  Wasserfall in Theth.
Wasserfall in Theth.  Wasserfall in Theth.
Weg oberhalb des Shala-River.  Weg oberhalb des Shala-River.
Das "Blue Eye". Das "Blue Eye".

Nderlysaj - Shkodra, 76 km, 1270 hm

Nur die Harten kommen in den Garten

Was als landschaftlicher Hochgenuss auf einer einsamen Bergstrecke gedacht war, wird zur Prüfung unseres Durchhaltevermögens und unseres fahrerischen Könnens. Schon in der Nacht hat es ergiebig geregnet. Dieser Regen setzt sich mit kurzen Unterbrechungen bis in den frühen Nachmittag fort. Der oft grobe Belag ist in den Steigungen von Fahrspuren tief zerfurcht und durch die Nässe auch noch super rutschig. Die Wegoberfläche bietet alles von groben Schotter bis hin zu Steinen so groß wie eine Faust oder ein Handball. Abschnitte die man näherungsweise mit sehr schlechterem Kopfsteinpflaster vergleichen kann sind im nassen Zustand bei 7-8% Steigung beim besten Willen nicht fahrbar. So schieben wir erhebliche Strecken des Aufstiegs und werden auch noch Ziel von blutsaugenden Bremsen. Das der Blick ins grüne Tal des Shala-River durch die tiefhängenden Wolken nicht annähernd so schön ist wie er sein könnte ist da unser kleinstes Problem. Außer uns quälen sich nur einige Mercedes Sprinter und Geländewagen über die anspruchsvolle Strecke. Die einzige Infrastruktur ist ein kleines verrauchtes Café in der Nähe des Passes das wir gegen 15 Uhr erreichen. Noch liegen zwei Drittel des Weges vor uns - es erscheint utopisch Shkodra heute noch zu erreichen. Auch die Abfahrt schenkt uns nichts. Da es mittlerweile aufgehört hat zu Regnen ist sie aber nicht ganz so rutschig wie der Anstieg und wir können sie durchweg fahren. Als die Sonne nach und nach rauskommt entfaltet sich erstmals die volle Schönheit dieser Landschaft. Die steilen Hänge der schmalen Schlucht sind größtenteils bewaldet. Tief unten im Tal rauscht ein Bergbach in seinem felsigen Bett. Da uns die Zeit im Nacken sitzt haben wir leider wenig Zeit die Ausblicke zu genießen. Nach zwei Dritteln der Strecke ist die Straße asphaltiert. Welch eine Wohltat nach den vielen Stunden in denen wir zum Teil kräftig durchgeschüttelt wurden. Ohne die letzten asphaltierten Kilometer hätten wir es kaum vor Anbruch der Dunkelheit nach Shkodra geschafft. Um die Strecke zu verkürzen hätten wir wohl bei jemandem im Garten zelten müssen. In Shkodra haben wir Glück und gleich das erste Gästehaus das wir ansteuern hat ein Zimmer frei. Das stark italienisch geprägte Flair der Großstadt könnte kaum weiter von der Einsamkeit unseres letzten Guesthouses und der wilden Bergstrecke entfernt sein.

Tief hängende Wolken über dem Shala-River.  Tief hängende Wolken über dem Shala-River.
Tief hängende Wolken über dem Shala-River.  Tief hängende Wolken über dem Shala-River.
Tief hängende Wolken über dem Shala-River.  Tief hängende Wolken über dem Shala-River.
Angler am Shala-River.  Angler am Shala-River.
Am späten Nachmittag wird das Wetter besser.  Am späten Nachmittag wird das Wetter besser.
Der Weg führt durch diese schöne Schlucht.  Der Weg führt durch diese schöne Schlucht.
Kurz vor Shkodra, die Sonne steht schon tief. Kurz vor Shkodra, die Sonne steht schon tief.

Shkodra - Komani, 57 km, 730 hm

Duschen unter der Brücke

Wir starten den Tag mit einer völlig neuen Herausforderung. Frühstück organisieren. In all den schicken Restaurants in der Fußgängerzone bekommt man heute morgen nur Kaffee. Die kleinen Läden beschränken ihr Sortiment hauptsächlich auf Kekse und Chips. Nach einiger Zeit merken wir das ganz in der Nähe unserer Unterkunft eine "Bäckerei" mit Käse gefüllte Blätterteigtaschen anbietet. Diese scheinen auch bei den Einheimischen sehr beliebt zu sein.

Durch eine fruchtbare Ebene geht es am Fuß der Berge gen Süden. Es werden unter anderem Tabak und Wein angebaut. In den Orten gehören Pferde und Eselskarren immer noch zum Straßenbild. Auf der Sackgasse Richtung Koman-Stausee ist sehr wenig Verkehr. An den Hängen rund um den Vau-Deja-Stausee dominieren Kiefern – es riecht entsprechend angenehm. Die wellige Straße wird in ihrem Verlauf immer schlechter. In großen Abständen gibt es in den kleinen Orten Cafés und Läden. Die hohen teils bewaldeten, teils felsigen Berge rund um den See bilden eine tolle Kulisse. Leider fehlt durch den bewölkten Himmel das Licht für gute Fotos. In Sichtweite der Staumauer neben dem Umspannwerk bieten ein Campingplatz, ein Hotel und eine handvoll Restaurants eine einfache touristische Infrastruktur. Die Sanitäranlagen und das Restaurant des Campingplatzes sind unter der Brücke über den Drin eingerichtet.

Pferdefuhrwerk am Straßenrand.  Pferdefuhrwerk am Straßenrand.
Straße entlang des Vau-Deja-Stausee.  Straße entlang des Vau-Deja-Stausees.
Brücke über den Drin in Komani. Brücke über den Drin in Komani.