Albanien per Rad - Tagebuch einer Radreise

© Christian Hartmann, Jörg Feye mail_outline 

Vlora - Himarë, 71 km, 1580 hm

Ein Pass mit zwei Seiten - Adria und Ionisches Meer

Morgens krabbeln wir den Llogara-Pass hinauf. Auf den ersten Kilometern gewinnen wir nur wenig Höhe. Je höher wir kommen, desto häufiger haben wir es mit steilen Rampen zu tun. Die Straße verläuft im Inland und ist mit zunehmender Höhe von dichtem Wald gesäumt. Das Verkehrsaufkommen ist zu unserem Leidwesen ziemlich hoch. So mancher Diesel raucht wie eine alte Dampflok. Kurz vor der Passhöhe werben etliche Restaurants um Gäste. Die Abfahrt auf der Südseite empfinden wir als deutlich attraktiver und deutlich verkehrsarmer. Da ist zum einen die Aussicht über das Ionische Meer. Linke Hand ragen steile felsige Berge auf. Die Vegetation ist deutlich spärlicher und wird bestimmt von Olivenbäumen, Zypressen und stachligen Büschen. Wie schon so oft sind viele Bienenkästen zu sehen.

Es geht sehr wellig weiter. Immer in Sichtweite des Meeres und dem Bergpanorama auf der linken Seite. Wir durchqueren sehr attraktive Dörfer wie sie auch an der italienischen Riviera stehen könnten. Den Tag beenden wir im kleinen Stranddorf Himarë. Obwohl auch hier die Anzahl der Unterkünfte großzügig bemessen ist macht der Ort auf uns einen beschaulichen Eindruck. Wir schwimmen noch eine Runde und genießen den Abend auf unserem Balkon mit Blick aufs Meer. Die Konturen der Insel Korfu, die noch etwa 40 km entfernt ist, sind schon gut erkennbar.

Blick vom Llogara-Pass.  Blick vom Llogara-Pass
Über Dhërmi-Fshat thront das Kloster Shën Mërisë.  Über Dhërmi-Fshat thront das Kloster Shën Mërisë.
In den Gärten gedeihen Oliven- und Obstbäume.  In den Gärten gedeihen Oliven- und Obstbäume.
Das Bergdorf Dhërmi-Fshat.  Das Bergdorf Dhërmi-Fshat.
Die ehemalige Festung von Himarë-Fshat.  Die ehemalige Festung von Himarë-Fshat.

Himarë - Ksamil, 72 km, 1220 hm

Die Albaner und ihre Liebe zum (Mercedes)-Stern

Im ständigen Auf und Ab führt die Straße immer in Sichtweite der Küste am Küstengebirge entlang. Stichstraßen führen hinunter zu den Stränden. Die Hänge sind mit Olivenbäumen, Zypressen, Agaven, Ginster und Farnen bewachsen. Im oft dichtem Gestrüpp1) grasen Ziegen. So manches mal hören wir nur ihre Glocken. In der baumlosen Bucht Porto Palermo2) gibt es zwei Sehenswürdigkeiten. Einen alten U-Boot-Bunker und die Festung des Ali Pascha. Letztere kann für 2,50 Euro besichtigt werden was wir als stolzen Preis empfinden. Auf der Straße scheint halb Europa unterwegs zu sein. Neben den direkten Nachbarn auch viele Ost- und Südosteuropäern bis hin zu Ukraine und Russland. Aber auch Mittel- und selbst Nordeuropa ist nahezu vollständig vertreten. Da auch Außerorts geschätzt maximal 60 km/h gefahren wird radelt es sich stressfrei. Ein Rätsel bleiben für uns die vielen Audi A8, Mercedes S-Klasse, 7er BMW sowie die großen SUVs – mit albanischen Kennzeichen3). Brot und Marmelade für die Selbstversorgung zu bekommen ist mittlerweile überhaupt kein Problem mehr. Obst und Gemüse ist kaum günstiger als in Deutschland. Gestern und heute beobachten wir Paraglider - durchaus mit etwas Neid. Beim Hausbau wird immer mit einem Stahlbetongerippe begonnen. Der Baustahl des obersten Geschosses liegt in der Regel frei, sodass bei Bedarf ein weiteres Geschoss hinzugefügt werden kann. Interessanterweise beginnt der Ausbau häufig mit dem ersten OG. Nicht jedes Stahlbetongerippe wird letztendlich auch zu einem Haus.

1: Macchie oder Macchia genannte immergrüne Gebüschformation der mediterranen Klimazonen.
2: Der Name stammt von den Italienern.
3: Bei einem Durchschnittseinkommen von ca. 300 Euro sollten sich nur sehr wenige Menschen solche Fahrzeuge leisten können. Nur eins können wir sicher sagen, das Auto ist ein wichtiges Statussymbol.

Der U-Boot-Bunker in Porto Palermo.  Der U-Boot-Bunker in Porto Palermo.
Agaven in der Bucht Porto Palermo.  Agaven in der Bucht Porto Palermo.
Agaven in der Bucht Porto Palermo.  Agaven in der Bucht Porto Palermo.
Agaven in der Bucht Porto Palermo.  Agaven in der Bucht Porto Palermo.
Blick auf Buneci Beach.  Blick auf Buneci Beach.

Ksamil - Gjirokastra1), 90 km, 1110 hm

UNESCO-Weltkulturerbe Doppelpack

Morgens besichtigen wir das UNESCO-Weltkulturerbe Butrint. Gegründet als Asklepius2)-Heiligtum von den Griechen, später übernommen und erweitert von den Römern. Auch Osmanen und Venezianer haben ihre Spuren in der Stadt hinterlassen.

An der Ostseite des Butrintsees geht es wieder nach Norden. Die Landschaft ist "zweigeteilt". Es gibt den bewässerten Teil, auf dem vornehmlich Oliven und Zitrusfrüchte angebaut werden und es gibt den unbewässerten Teil, wo zwischen trockenem Gras gelegentlich eine Steineiche oder Kiefer wächst.

Das "Blue Eye", eine ergiebige Karstquelle mit 6 m³ Quellvolumen pro Sekunde, ist eine ziemliche Touristenattraktion mit 2 großen Restaurants in unmittelbarer Nähe. Dafür, dass die Naturattraktion nur über eine 3 Kilometer lange Schotterpiste zu erreichen ist, ist ganz schön was los. Waren die Straßen bisher verkehrsarm so überrascht uns das Verkehrsaufkommen zum folgenden 550 m hohen Pass.

Durch das Drin-Tal verläuft eine gut ausgebaute Straße mit Seitenstreifen. Das breite Tal ist auf beiden Seiten von Bergen eingerahmt, die über 1000 m hoch sind. In der Ebene wird vorwiegend Mais angebaut, der noch auf den Feldern steht, wenn die Blätter schon ganz braun sind. Auch einige Steinbrüche und Tiefbaubetriebe haben sich entlang der Straße angesiedelt.

Unser Etappenziel ist ein weiteres UNESCO-Weltkulturerbe. Die Altstadt von Gjirokastra. Zu unserem Leidwesen sind die gepflasterten Straßen mordsmäßig Steil. Wir kommen in einem schönen historischen Gebäude mitten in der Altstadt unter. Abends sind der Basar und die Restaurants noch sehr belebt.

Eine Eigenart der Albaner ist es, den Tisch vor dem Essen mit einer Papiertischdecke abzudecken. Im Kühlen von Getränken sind sie Weltmeister. Auch die Gläser kommen immer gekühlt an den Tisch. Von ihrer eigenen Währung scheinen sie nicht viel zu halten. Wir haben schon manchen verdutzten Blick geerntet, als wir in Lek und nicht in Euro zahlen wollten.

1: Albanisch Gjirokastër = "Silberburg"
2: Der griechische Gott der Heilkunst.

Fisch-Reusen im Vivar-Kanal vor Butrint.  Fisch-Reusen im Vivar-Kanal vor Butrint.
Das römische Theater von Butrint.  Das römische Theater von Butrint.
Blick von Butrint zur Festung Treport.  Blick von Butrint zur Festung Treport.
Die venezianische Festung Treport.  Die venezianische Festung Treport.
In der Altstadt von Gjirokastra.  In der Altstadt von Gjirokastra.
Die Mosche von Gjirokastra. Die Mosche von Gjirokastra.

Gjirokastra - Përmet, 65 km, 355 hm

Hässliche Stofftiere gegen den "bösen Blick"

Den gesamten Vormittag besichtigen wir die Altstadt von Gjirokastra. Die große Burg thront auf einem Felsen oberhalb der Stadt. Besonders sehenswert ist der Uhrturm am Ostende der Festungsanlage. Unterhalb der Burg können wir im Rahmen einer Führung einen Bunker aus der Zeit des kalten Krieges besichtigen. Die an ein altes Kellergewölbe erinnernden Gänge waren Regierungsbeamten und Lokalpolitikern vorbehalten. Das das Regime von Enver Hoxha Paranoid war, beweisen auch die 700.000 Bunker, die über das ganze Land verstreut sind. Es vergeht kein Tag, an dem wir keinen sehen. Die Besonderheit Gjirokastras sind die Wohntürme der Wohlhabenden. Die 3 Etagen werden von unten nach oben immer luxuriöser. Die Stadt erlebte ihre Blüte unter den Osmanen im 17. Jahrhundert und war vor allen Dingen eine Verwaltungsstadt.

Die Zweckbauten und das quirlige Leben in der Unterstadt stellen einen starken Kontrast zur touristisch geprägte Oberstadt dar. Im Café am Kreisverkehr beobachten wir vergnügt wie einige Verkehrspolizisten versuchen das Chaos zu bändigen. Die Vorfahrtsregeln werden nicht ganz so streng genommen. Geparkt wir immer und überall. Auch in der 2ten und 3ten Reihe. Gurt- und Helmpflicht werden meist ignoriert. Das Mütter ihre Kleinkinder auf dem Beifahrersitz auf dem Schoß haben ist keine Seltenheit. Die Albaner fahren nicht nur gerne Auto, sie waschen es augenscheinlich auch gerne. Die Dichte an Autowaschgelegenheiten ist wirklich verblüffend. Ebenso verblüffend sind die Stofftiere, die an vielen Häusern hängen. Wie wir erfahren haben, sollen diese den "bösen Blick" - also den Neid der Anderen - abhalten.

Mit Rückenwind geht es durchs Drinos-Tal. Im Vjosa-Tal lässt der Verkehr deutlich nach. Das schmale V-förmige Tal wird von bis zu 1900 m hohen Bergen eingerahmt, die im unteren Teil bewaldet sind. Ein landschaftlich wirklich sehr schöner Abschnitt. Wo das Vjosa-Tal in Richtung Süden verläuft ist es breit und landschaftlich genutzt. Es fällt auf, dass neben den genutzten Flächen erstaunlich viele unbewirtschaftet sind. Gelegentlich weiden dort Schafe, Ziegen oder Kühe. Das Zentrum der Kleinstadt Përmet ist attraktiv und lebendig. So viele Menschen wie hier haben wir zwischen 19-20 Uhr noch nie auf den Straßen gesehen.

Uhrturm der Festung Gjirokastra.  Uhrturm der Festung Gjirokastra.
Uhrturm der Festung Gjirokastra.  Uhrturm der Festung Gjirokastra.
Wohntürme in Gjirokastra.  Wohntürme in Gjirokastra.
Zekati-Haus in Gjirokastra  Zekati-Haus in Gjirokastra
Luxuriöser Raum im Zekati-Haus.  Luxuriöser Raum im Zekati-Haus.
Straßenhändler im Drinos-Tal.  Straßenhändler im Drinos-Tal.
Die Leklit-Brücke am Eingang ins Vjosa-Tal.  Die Leklit-Brücke am Eingang ins Vjosa-Tal.
Die Vjosa ist auf ganzer Länge naturbelassen.  Die Vjosa ist auf ganzer Länge naturbelassen.
Das Vjosa-Tal ist landschaftlich beeindruckend.  Das Vjosa-Tal ist landschaftlich beeindruckend.
Die Berge sind bis zu 1900 m hoch.  Die Berge sind bis zu 1900 m hoch.

Përmet, Ruhetag

Nur nicht die Laune verregnen lassen

"And now something completely different" – Regen 😠. Wir entscheiden den Regentag auszusitzen und in Përmet zu bleiben. Eine gute Gelegenheit, um zum Friseur zu gehen und eine Sandale beim Schuster reparieren zu lassen. Diesen zu finden ist gar nicht so einfach. Es gibt Läden für so ziemlich alles, aber der Schuster ist kein Marketingspezialist. Mit anderen Worten: auch als wir direkt vor seinem Laden stehen, erkennen wir ihn nicht. Nur weil wir bei der Schneiderin nebenan fragen und diese ihn anruft kommt es zur Reparatur. Für die verlangt er ganze 100 Lek, also nicht mal einen Euro. Përmet hat zwei Kirchen im griechischen Stil. Das Wahrzeichen ist ein 42 m hoher Felsen am Ufer der Vjosa. Wir sind fast ein bisschen beleidigt, dass es Nachmittags längere Zeit trocken ist und zwischendurch sogar mal die Sonne rauskommt.

Kirche Shën e Premtes.  Kirche Shën e Premtes.
Kirche Shën e Kollit.  Kirche Shën e Kollit.
Blick auf das Hotel-Përmet.  Blick auf das Hotel-Përmet.
Blick vom 42 m hohen Fels von Përmet.  Blick vom 42 m hohen Fels von Përmet.
Die Vjosa in Përmet.  Die Vjosa in Përmet.

Përmet - Leskovik, 58 km, 1235 hm

Gestern: Warmduscher - Heute: Warmbader

Die Straße durch das Vjosa-Tal ist sehr verkehrsarm. Die 1500 m hohen Berge zu unserer Rechten strahlen heute in ihrer vollen Schönheit. Das untere Drittel ist bewaldet, das mittlere Drittel mit verdorrtem Gras bedeckt und im oberen Drittel ragt der meist nackte Fels nahezu senkrecht auf. Im Tal wechseln vertrocknete Wiesen mit bewässerten Weinbergen ab. Ein 6 km langer Abstecher führt uns zu den warmen Quellen von Llixhat e Bënjës. Rund um den Fluss, den eine osmanische Brücke überspannt liegen Becken mit warmem Wasser (22-28 °C). Morgens hält sich der Besucherandrang in angenehmen Grenzen, auf dem Rückweg kommen uns aber zwei Reisebusse entgegen.

Wir folgen dem Vjosa-Tal weiter südwärts. Immer wenn sich die Straße vom Fluss löst dürfen wir die kleinen Gänge auflegen. In Çarshovë verlassen wir das Vjosa-Tal und wenden uns ostwärts. Auf der Straße ist jetzt nahezu kein Verkehr mehr. Auf brüchigem, geflicktem Asphalt mit gelegentlichen Schottereinlagen klettern wir entlang einer felsigen Schlucht auf 900 m. Der Balkan-Wettergott schickt uns mal wieder unsere "private Regenwolke" – langsam reicht es 😠! Oben in Leskovik sind es nur noch 17 °C. Wir entschließen uns in einem der zwei einfachen Hotels zu bleiben. Nicht unerwähnt bleiben soll die Herzlichkeit der Menschen denen wir jeden Tag begegnen.

Kadiut Brücke  Kadiut Brücke
Kadiut Brücke  Kadiut Brücke
Kadiut Brücke  Kadiut Brücke
Kadiut Brücke und die warmen Quellen von Llixhat e Bënjës.  Kadiut Brücke und die warmen Quellen von Llixhat e Bënjës.
Vjosa-Tal  Vjosa-Tal
Dieser Esel kennt seinen (Arbeits)weg genau.  Dieser Esel kennt seinen (Arbeits)weg genau.

Leskovik - Korça, 89 km, 1375 hm

Envas Bunkerparadies - da fühlt man sich doch gleich viel sicherer

Auf einer sehr ruhigen Straße geht es im steten Auf und Ab zwischen 800 m und 1100 m durch eine waldreiche Bergregion. Die Hauptarten sind Kiefern, Buchen und Eichen. Die Laubbäume sind zum Teil schon im herbstlichen Gewand. Auf der folgenden Hochebene herrscht Landwirtschaft vor. Einige Kilometer vor Korça wird viel Obst, vor allem Äpfel angebaut. Esel und Pferde sind als Transportmittel noch sehr gebräuchlich und häufig am Wegesrand und auf den Feldern anzutreffen. Immer wieder beobachten wir Schwalben. Korça ist die bisher attraktivste albanische Stadt die wir besuchen mit viel alter Bausubstanz im Stadtkern und vergleichsweise wenigen sozialistischen Bausünden. Abends ist auf den Straßen von Korça noch viel los. Die Albaner rauchen deutlich mehr als die Deutschen. In Läden, Hotels und Restaurants aber auch in der Landwirtschaft und auf dem Bau sehen wir immer wieder alte Menschen arbeiten. Auf der anderen Seite ist so mancher Café-Besitzer erstaunlich jung.

Blick über Leskovik.  Blick über Leskovik.
Einer von unzähligen Bunkern.  Einer von unzähligen Bunkern.
Oh - wir haben die Schneeketten vergessen.  Oh je - wir haben die Schneeketten vergessen.
Wald im herbstlichen Gewand.  Wald im herbstlichen Gewand.
Kathedrale von Korça.  Kathedrale von Korça.