Bosnien per Rad - Tagebuch einer Radreise

© Christian Hartmann mail_outline 

Dujmovići - Goražde, 111 km, 1540 hm

Pulsierendes Nachtleben

Als meine Vermieterin gestern Abend kein Geld wollte, hatte ich es schon geahnt, sie kann meine 50 € nicht wechseln. Sie hat nur zwei mal 25 €. Grummel! Na gut, dann kostet die Übernachtung halt 25 € und nicht 15 €.

Über viele Kilometer geht es durch ein waldreiches Tal moderat bergauf. Die kleine Straße folgt einem Bach. Anfangs meine ich sogar bergab zu fahren, so gering ist die Steigung. Ausblicke gibt es keine, schön ist es trotzdem. Am Ende sind es 900 Höhenmeter ohne Frühstück. Die Abfahrt endet in Ustikolina an der Drina. Dort gibt es einen Laden, Cafés und zwei große Hotels am Ufer des Flusses. Einen Geldautomaten gibt es nicht. Auf der Nebenstraße am östlichen Ufer fahre ich nach Foča. Mittags um Eins habe ich wieder Geld und "frühstücke" erst mal.

Auf der Hauptstraße radel ich zurück nach Ustikolina. Wie erwartet ist die nichts für Radfahrer. Auf einer Nebenstraße geht es rechts der Drina flussabwärts. Bald führt diese als Schotterweg durch dichten Wald. Der Weg ist etwas aufgeweicht vom Regen der Nacht. Einige schöne Ausblicke auf den Fluss belohnen für die Mühen. Am Ende fahre ich weiter als geplant und der Ausflug nach Foča wäre gar nicht nötig gewesen. Goražde überrascht mich mit einem lebendigen Nachtleben. Nahe der Brücke reihen sich die Cafés aneinander. Jung und Alt flanieren die Straße auf und ab. Unterhalb der Brücke ist eine "Hängebrücke" aus Kriegszeiten zu sehen. Auf dieser konnten Fußgänger, im Schutz der "großen Brücke", das andere Ufer erreichen.

Drina-Tal  Drina-Tal
Nachtleben in Goražde  Nachtleben in Goražde
Hängebrücke aus dem Krieg  Hängebrücke aus dem Krieg

Goražde - Višegrad, 89 km, 1890 hm

Über 3 Berge entlang der Drina

Ich kehre der Drina erst mal den Rücken und fahre in die Berge im Südosten. Der Anstieg ist moderat und asphaltiert. Das Janjina-Tal, in dem ich zur Drina zurückkehre, hat ein ebenso moderates Gefälle und ist schön zu fahren. Das Tal ist waldreich, mit Felswänden in vielen Formen, so kommt auch das Auge nicht zu kurz.

Zurück an der Drina, bieten sich tolle Ausblicke, von der Nebenstraße ins Tal. Bald klettere ich erneut, rechts des Flusses, den Berg hinauf. Der zweite Anstieg hat es böse in sich. Gefühlt wird der Schotterweg oben immer steiler und schlechter. In Zahlen: 530 Höhenmeter auf 6 Kilometern in einer Stunde. Dass es so hart würde, habe ich nicht gedacht. Und die ersten Kilometer bergab sind vom gleichen Kaliber. Erst als ich das Sućeska-Tal erreiche, werde ich entschädigt. Je näher ich dem Lim-Stausee komme, desto schöner wird es. Leider ziehen jetzt Wolken auf. Auf Asphalt geht es wieder den Berg rauf und dann durch zig Tunnel bergab zurück zur Drina. Das macht Laune.

Ein drittes Mal klettere ich einen Berg rechts der Drina hinauf. Der Weg ist erstaunlich lange asphaltiert. In Wellen geht es dann auf gutem Schotter nach Višegrad. Tolle Strecke mit kleinen Dörfern umgeben von urigem Wald. Aber die Beine sind jetzt doch langsam müde.

In Višegrad1) bekomme ich für 15 € mal wieder den vollen Komfort. Klimaanlage, Waschmaschine und Küche. Ich lasse den Tag auf einer Bank, mit Blick auf die Brücke2), ausklingen. Am gegenüberliegenden Ufer heizt ein DJ mit lauter Musik im Balkan-Style die Stimmung in einem Restaurant an.

1: Die Visegrád-Gruppe ist nach dem ungarischen Visegrád benannt.

2: Die Mehmed-Paša-Sokolović-Brücke wurde von 1571 bis 1577/78 erbaut. Sie ist ein UNESCO-Weltkulturerbe. (Wikipedia)

Janjina Tal   Janjina-Tal
Drina  Drina
Drina  Drina
Drina  Die Janjina mündet in die Drina
Drina  Drina
Sućeska-Tal  Sućeska-Tal
Sućeska-Tal  Sućeska-Tal
Sućeska-Tal  Sućeska-Tal
Lim-Stausee  Lim-Stausee
Tunnel im Lim-Tal  Tunnel im Lim-Tal
Drina  Drina
Brücke in Višegrad  Brücke in Višegrad

Višegrad - Pripećak, 102 km, 2690 hm

Eine Nacht auf der Bank

Auf 20 Kilometern geht es rund 1000 Höhenmeter den Berg rauf. Wald und Wiesen wechseln sich ab. Die letzten Tage gab es so viele Brunnen, dass ich nicht mehr darauf geachtet habe, ob meine Flaschen nun voll sind oder nicht. Das rächt sich heute, da es hier keine Brunnen mehr gibt und erst nach 40 Kilometern, in Borika, einen Laden. Die Drina hat sich in eine tiefe Schlucht eingegraben, in die man nur von wenigen Aussichtspunkten reinschauen kann. Mein Versuch Einen zu erreichen endet aber im "Nirgendwo". Auf allen Wiesen wird mit kleinen und eher alten Maschinen Heu gemacht. Auch Heureiter sind noch sehr verbreitet.

Tolle Abfahrt nach Žepa, das in einem Talkessel, am gleichnamigen Zufluss zur Drina liegt. Im Ort gibt es eine große Quelle. Der Turm und die Brücke, sind nur mäßig interessant. Auf Schildern wird noch für das Hotel an der Drina geworben, es ist aber geschlossen. Es wäre naheliegend hier unten am Wasser zu zelten. Aber schon beim Bad im Fluss nerven mich die vielen Fliegen. Also den Berg wieder hoch und zurück nach Žepa. Dort gibt es aber keine Unterkünfte.

Also fahre ich nach Pripećak, ein kleines Dorf, am höchsten Punkt einer Sackgasse. Tolle Ausblicke im Abendlicht, eine ergiebige Quelle aber auch hier keine Unterkunft. Ich versuche privat unterzukommen, aber auch das klappt nicht.

Gut 2 Kilometer unterhalb von Pripećak, direkt an der einspurigen Straße, gibt es einen Aussichtspunkt direkt an der Straße. Eine Bank und ein Tisch, kein Wasser und kein Platz für’s Zelt. Aber die Bank ist lang und breit genug für meine Isomatte und ein Auto fährt hier bis morgen auch nicht mehr. Bisher sind mir hier, fast 500 Meter oberhalb des Flusses, keine Insekten aufgefallen. Nach dem Kochen und einer Katzenwäsche, ist noch genug Wasser für einen Kaffee zum Frühstück über.

Brücke in Višegrad  Brücke in Višegrad
Turm in Žepa  Turm in Žepa
&quotDrina Knie"  "Drina Knie"
Abendstimmung in Pripećak  Abendstimmung in Pripećak
Abendstimmung in Pripećak  Abendstimmung in Pripećak

Pripećak - Olovo, 80 km, 920 hm

Kühe in ausgedehnten Wäldern

Ich habe erstaunlich gut geschlafen, obwohl sich an meinen Armen einige Mücken gütlich getan haben. Während des Frühstücks beobachte ich, wie sich das Licht über der, "Drina Knie" genannten, Flussschleife verändert. Es gibt Feigen, Datteln und Kaffee. Mensch, was willst Du mehr? Nach einer kurzen Abfahrt zur Quelle in Žepa geht es durch ausgedehnte Wälder bergauf. Darin vereinzelt kleine Dörfer. Mitten im Wald, weit weg vom nächsten Dorf, stehen Kühe.

Mittag in Han Pijesak. Rund um die kleine Stadt mehrere Sägewerke. Wenige Kilometer vor Olovo führt die Straße durch das schicke, felsige Stupčanica-Tal. Die M18 ist wieder eine Straße, die ich nicht länger fahren möchte. Olovo hat eine Heilquelle. In der Kurklinik "Aquaterm" kann man darin baden, sich massieren lassen, u.s.w.

Das Hotel Panorama hat seinen Namen nicht ohne Grund, die Straße dort rauf ist blödsinnig steil. Das Zimmer ist mit 50 € total überteuert. Naja, dass "Zehntausend-Sterne-Hotel" gestern hat gar nichts gekostet.

Frühstück mit Blick auf's "Drina Knie"  Frühstück mit Blick auf's "Drina Knie"
"Drina Knie"  "Drina Knie"
Kόhe im Wald  Kühe im Wald
Stupčanica-Tal  Stupčanica-Tal
Stupčanica-Tal  Stupčanica-Tal
Stupčanica-Tal  Stupčanica-Tal
Stupčanica-Tal  Stupčanica-Tal
Stupčanica Tal  Stupčanica-Tal

Olovo - Vareš, 117 km, 1560 hm

Aus der Zeit gefallene Schmiede

Morgens geht es durch die wunderbare Krivaja-Schlucht. Bald endet der Asphalt und es geht auf gutem Schotter durch dichten Wald. Dunkle Wolken verleihen dem Ganzen eine düstere Stimmung. Mitten im Wald eine Schmiede, die nach wie vor von Wasserkraft angetrieben wird. Mit Hebeln bestimmen die Schmiede, welches Werkzeug in Bewegung gesetzt wird. Der große Raum ist dunkel. In der Esse glüht ein rundes Stück Metall. Die Männer setzen den schweren Hammer in Bewegung und in kürzester Zeit wird daraus eine Schale. Beeindruckend - und völlig aus der Zeit gefallen!

Die Wolken hängen so tief, dass feinste Wassertropfen in der Luft schweben. Der Tunnel vor Vareš ist mehr eine Höhle, kein Wunder, dass hier Fledermäuse leben. In Vareš wurde Kupfer- und Eisenerz gefördert. Viele der Anlagen sind so verrottet, dass sie schon wieder schön sind. Auf der Straße ins Tal ist einiges los, auch etliche LKW sind hier unterwegs. Unten im Tal nimmt der Verkehr noch mal deutlich zu - Sarajevo lässt grüßen.

Da es hier unten recht warm ist und der angekündigte Regen bisher ausblieb, entschließe ich mich das Misoča-Tal hochzufahren. Eine tolle Schlucht, aber eher schwieriges Licht (zum Fotografieren). Oberhalb der Schlucht führt der Weg lange durch Wald und Wiesen. Ab 16 Uhr regnet es dann doch noch. So wird der an sich gute Schotterweg etwas schlammig und mein Rad bekommt mal eine gute Portion Matsch ab.

Zurück in Vareš. In der einzigen Unterkunft sind alle Zimmer belegt. Der Sohn des Wirts – beide sprechen fließend Englisch – vermietet aber privat noch ein Zimmer. Bis dies hergerichtet ist, wärme ich mich bei einer warme Mahlzeit auf. Tatsächlich habe ich heute ein ganzes Haus für mich. Das haben sie kürzlich gekauft, aber noch nicht renoviert und fertig eingerichtet.

Krivaja Tal  Krivaja-Tal
Wasserkraft getrieben Schmiede  Wasserkraft getrieben Schmiede
Wasserkraft getrieben Schmiede  Wasserkraft getrieben Schmiede
Wasserkraft getrieben Schmiede  Wasserkraft getrieben Schmiede
Misoča Tal  Misoča-Tal
Misoča Tal  Misoča-Tal
Misoča Tal  Misoča-Tal
Misoča Tal  Misoča-Tal

Vareš - Sarajevo, 81 km, 1670 hm

Der 100 m Wasserfall

In der Nacht regnet es noch einige Male, morgens ist die Straße teilweise noch feucht. Mit deutlich weniger LKW wirkt die Strecke gleich deutlich attraktiver. Noch ist es ganz schön frisch.

Die Straßen im Tal und in Sarajevo sind stark befahren. Ich umschiffe die ganz großen Hauptstraßen, allerdings auf Kosten so manches verflixt steilen Anstieges. Auch der Weg zum Skakavac-Wasserfall hat es in sich. Ein Stück ist so steil, dass ich trotz Asphalt schieben muss - das müssen mehr als 20% sein.

Vom Parkplatz sind es noch gut 3,5 Kilometer zu laufen. Der Aussichtspunkt bringt es nicht. Man kommt aber bis an die Kante des Wasserfalls dran. An einen Baum gelehnt schaue ich 100 Meter in die Tiefe. Ui, das ist tief, jetzt keine unbedachte Bewegung. Eigentlich gibt es einen Rundweg, der von hier zum Fuß des Falls führt und von dort zurück zum Parkplatz. Leider ist dieser wegen eines Erdrutsches zurzeit gesperrt. Also zurück zum Parkplatz und auf dem anderen Weg wieder 3 Kilometer zum Wasserfall. Wow, der Blick ist genial, das Licht schwierig. Das ich heute so viel laufen würde, hatte ich nicht erwartet.

Das Gasthaus 6 Kilometer in Richtung Sarajevo hat ein Zimmer frei. Für eine gutes Abendessen mit 3 Bier und das Zimmer zahle ich 28 €, das ist schwer okay.

Auf dem Weg zum Wasserfall  Auf dem Weg zum Wasserfall
Skakavac-Wasserfall  Skakavac-Wasserfall
Skakavac-Wasserfall  Skakavac-Wasserfall
Skakavac-Wasserfall  Skakavac-Wasserfall
Skakavac-Wasserfall  Skakavac-Wasserfall
Skakavac-Wasserfall  Skakavac-Wasserfall
Skakavac-Wasserfall  Skakavac-Wasserfall

Sarajevo, 25 km

Pulsierende Hauptstadt

Um 8 Uhr mache ich mich, ohne Gepäck, noch mal auf den Weg zum Wasserfall.

Um 12 Uhr bin ich zurück am Hotel und gönne mir erst mal ein Omelette zum "Frühstück". Dann muss ich nur noch den Berg nach Sarajevo runter rollen. Den Nachmittag verbringe ich damit eine Bike-Box und Klebeband zu besorgen, das Rad zu putzen und zu verpacken.

An meinem letzten Tag streife ich durch Sarajevo. Die Stadt ist so widersprüchlich, wie das ganze Land. Moderne Neubauten stehen direkt neben halb verfallenen Altbauten. Moscheen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kirchen. Schön und hässlich, Orient und Okzident, ruhig und überfüllt, alles nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Die schöne Altstadt ist leider völlig überlaufen und so manche Gasse scheint eine einzige Aneinanderreihung von Cafés und Souvenirläden zu sein. Zukunftsweisend sind die Oberleitungsbusse. Nicht verstanden habe ich, warum Polizisten auf einigen Ampelkreuzungen, mit Trillerpfeife, den Verkehr regeln.

Mein Fazit

Bosnien ist ein schönes und abwechslungsreiches Land, mit tollen Menschen. Sein Schatz sind die vielen Flusstäler, die alle einen eigenen "Charakter" haben. Außerdem ist es wasserreich und mit zahlreichen Quellen und Wasserfällen gesegnet. Dazu kommen attraktive Berge. Viele Ecken sind touristisch noch kaum entdeckt.

Nicht alle Straßen sind asphaltiert und einige durchaus anspruchsvoll. Die wenigsten Bosnier:innen sprechen Englisch, mit etwas gutem Willen klappt die Verständigung in der Regel aber. Ein Zimmer kostet im Schnitt 25 €, daher habe ich mein Zelt nur "spazieren gefahren". All meine Unterkünfte habe ich sehr spontan ausgewählt. Das Zelt in der "Hinterhand" zu haben, hat dabei sicher geholfen.

Im Juli 2023 war Südost-Europa von einer Hitzewelle betroffen. Die hat mir tagelang Temperaturen von bis zu 50 °C - in der Sonne - beschert. Ob solch extreme Hitze im Sommer "normal" ist, kann ich nicht einschätzen.

Verpacktes Rad  Verpacktes Rad
Gazi Husrev-Beg Moschee  Gazi Husrev-Beg Moschee
Rathaus  Rathaus
Alt und Neu  Alt und Neu
Markale-Markt  Markale-Markt
Kaisermoschee  Kaisermoschee
Sarajevo Museum 1878 – 1918  Sarajevo Museum 1878 – 1918
Alte orthodoxe Kirche  Alte orthodoxe Kirche
Bašcaršija  Bašcaršija
Oberleitungsbus  Oberleitungsbus